"Onegin" von John Cranko neu besetzt

Der neu besetzte "Onegin" als Auftakt zum Cranko-Fest des Bayerischen Staatsballetts
Vesna Mlakar |
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John Crankos „Onegin“ steht auch dank der Musik von Peter Tschaikowsky in der Tradition der großen Ballette des 19. Jahrhunderts. In dieser Szene tanzen Ksenia Ryzhkova und Emilio Pavan.
Wilfried Hösl John Crankos „Onegin“ steht auch dank der Musik von Peter Tschaikowsky in der Tradition der großen Ballette des 19. Jahrhunderts. In dieser Szene tanzen Ksenia Ryzhkova und Emilio Pavan.

Dank John Cranko besitzt München ein eigenes Kompanieprofil. Letzten August wäre er 90 Jahre alt geworden. Sein im 20. Jahrhundert verwurzeltes Verständnis, was ein starkes Handlungsballett ausmacht, unterscheidet sich wesentlich von dem – bei uns durchaus mitgepflegten – klassisch-romantischen Erbe französischer oder russischer Ensembles.

Bleibt die Frage, mit welchem Werk man das Bayerische Staatsballett in Verbindung bringt, wenn die technischen wie darstellerischen Ansprüche an seine Tänzer besonders gut sichtbar werden sollen. Gewiss zählt – beim Publikum heißgeliebt unter den hochdramatischen, abendfüllenden Repertoirejuwelen – Crankos „Onegin“ dazu.

Nach dem Roman von Alexander Puschkin, zur Musik Peter Tschaikowskys in der Bearbeitung von Kurt-Heinz Stolze hatte die heute gültige Neufassung 1967 in Stuttgart Premiere. Anfang der Siebziger schwappte die Erfolgswelle dann in die bayerische Landeshauptstadt über: Konstanze Vernon und Heinz Bosl setzten bei der Übernahme Maßstäbe.

Die ungebrochene Münchner Tradition wurde seitdem durch viele Interpreten verfestigt. Nichts hat sich an der ultimativen Herausforderung geändert, gerade hier „Onegin“ – aktuell mit einer sehr jungen, noch zusammenwachsenden Truppe – auf den Spielplan des Staatsballetts zu setzen.

Unverschämte Gelassenheit

Den ersten Vorstellungsabend prägten wieder zahlreiche Rollendebüts. Erfahrung konnte allein Jonah Cook als Lenski einbringen. Dies kam auch seiner stets taffen Partnerin Laurretta Summerscales als glücklich verliebter Olga zugute. Cook hatte die Partie noch unter Likas Leitung gelernt. Wie er allerdings – seit Saisonbeginn verdientermaßen zum Ersten Solisten befördert – mit fast unverschämt-ruhiger Gelassenheit seine erste Variation ganz von der Musik getragen technisch brillant in Jürgen Roses Gartenbild des ersten Akts platzierte, war berauschend.

Bei seinem Solo vor dem tragischen Duell herrschte atemlose Stille im Nationaltheater. So ließ sich Erik Murzagaliyev, der Onegin erstmals verkörperte – leider zu wenig blasiert und facettenreich –, von Cooks unversöhnlich-aufgebrachtem Lenski die Butter vom Brot nehmen. Statt neuer Emotionsimpulse führte Murzagaliyev – mit der Rolle offensichtlich noch etwas überfordert – eher das Image des verträumten Don Quijote fort. In entscheidenden Momenten ließ er die düster-grausame Strahlkraft des arroganten Mannes vermissen. Wo waren die Erfahrungen mit seinen vorigen „Fieslingen“, Crassus in „Spartacus“ oder Karenin in „Anna Karenina“ geblieben? Hier muss er den Töchtern der Witwe Larina (Séverine Ferrolier) aus einer provokativ-demütigenden Laune heraus großen Schmerz zufügen und seinem Freund Lenski den Tod bringen.

Das Ruder herumgerissen

Am besten gelingt ihm im zweiten Akt das Eifersüchtigmachen von Lenski durch begehrlich-vergnügtes Tanzen mit dessen Verlobter Olga. Den großen Spiegel-Pas de deux zuvor im Schlafgemach von Tatjana bekommt er ad hoc nicht gestemmt. Bedauerlicherweise für Ksenia Ryzhkova, die schon vor der ersten Begegnung mit Onegin ihre Rolle selbstbewusst zu entwickelt beginnt. Die erträumten Höhenflüge der Liebe – sie wollten einfach nicht so recht klappen.

Ksenia Ryzhkova wusste das Ruder dennoch herumzureißen. An Emilio Pavans Seite (Debüt als Fürst Gremin) besticht sie, zur eleganten Dame der feinen Gesellschaft gereift. Im zwischen Vernunft und Gefühl zerrissenen Schluss-Pas de deux übernimmt sie die Führung. Dadurch überzeugten die beiden als Paar – zumindest im Finale.

Weitere Termine des Cranko-Fests: „Onegin“: 7. Februar; „Romeo und Julia“: 9., 12., 17. Februar „Der Widerspenstigen Zähmung“: 22., 23. Februar (jeweils 19.30 Uhr), Telefon 2185 1920


Der Erneuerer des Handlungsballetts

eine Stärke waren nuancierte Geschichten und klare dramatische Strukturen. Der 1927 in Rustenburg, Südafrika geborene John Cranko tanzte erst am Royal Ballet in London, ehe er seine choreografische Begabung entdeckte. 1961 wurde er Ballettchef in Stuttgart.

Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich hier unter seiner Führung das „Stuttgarter Ballettwunder“, eine außergewöhnlich starke Compagnie mit einem vielfältigen Repertoire, die sich durch Gastspiele zwischen New York und Peking Weltgeltung ertanzte. Parallel zu seiner Arbeit in Stuttgart übernahm Cranko von 1968 bis 1970 die Direktion des Balletts der Bayerischen Staatsoper. 1973 starb er unerwartet.

Crankos Bedeutung liegt in der Erneuerung des abendfüllenden Handlungsballetts. Weltweit teilt sich allein München mit dem Stuttgarter Ballett die unbefristeten Rechte an John Crankos einzigartiger Werktrias „Romeo und Julia“, „Onegin“, „Der Widerspenstigen Zähmung“. Deren Faszinationskraft geht auch vom unmittelbaren Verständnis der jeweils ausgetanzten Konfliktdynamik und den Rollenpsychogrammen aus. Die beiden Shakespeare-Adaptionen hat Ballettchef Igor Zelensky seit Sommer 2016 bereits in überzeugenden Besetzungskonstellationen neu herausgebracht. Jetzt setzte er – in Nachbarschaft zu Spucks „Anna Karenina“ – die Wiederaufnahme des „Onegin“ an: als Auftakt zu einem Cranko-Fest.

Nur in München kann man nun gleich alle drei Ballette in kurzer Folge erleben. Es gibt von den drei Balletten übrigens keine DVD-Aufzeichnung – sind also nur live zu sehen.

 

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