"On The Road" nach Jack Kerouac von David Marton
Die Entstehungsgeschichte von „Unterwegs“, wie der Roman im Deutschen heißt, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Jack Kerouac tippte das Werk 1950 in einem Schreibrausch innerhalb von nur drei Wochen. Zuvor hatte er sich noch die Zeit genommen, Papierbögen zu einer 37 Meter langen Rolle zusammenzukleben. So sparte er sich die Unterbrechung, die das Ausspannen einer beschriebenen und das Einspannen eines neuen Blattes mit sich bringen, und blieb im Fluss. Das Ergebnis wollte zunächst niemand haben. Sieben Jahre lang trug er die Papierrolle von Verleger zu Verleger.
Erzählt wird in „On The Road“ von Sal Paradise, der nach einer traumatisierenden Scheidung einfach abhaut und zusammen mit seinem kleinkriminellen Kumpel Dean Moriarty durch die USA trampt. Sex und Drogen finden hier schon frühzeitig auf belletristischer Ebene zusammen, und der Jazz spielt dazu. Das Rauschhafte des Schreibprozesses findet sich wieder in beschleunigender Interpunktionsarmut. Dem Roman geht der Ruf voraus, nicht dramatisierbar zu sein. David Marton, der an den Kammerspielen bisher mit „Figaros Hochzeit“ und „La Sonnambula“ als Opernregisseur interessante neue Marken setzen konnte, hat es versucht, dann aber diese Einschätzung als Vorwand genommen, formale Fragen lieber nicht anzugehen.
Schon sein zusammen mit Amber Vandenhoeck entworfener Bühnenraum ist eine Distanzierung vom Stoff und signalisiert nicht „on the road“, sondern „between walls“. Nordamerikanische Weite wird bei beschaulichem Familienfest in Schmalfilmqualität auf die Wand einer Baracke zwischen unverputzten Brandmauern projiziert. Im Grunde ist damit schon alles gesagt und der Vorhang kann wieder herunterfahren. Was dann trotzdem noch folgt, ist eine Theatermusik ohne Theater.
Eine Windmaschine lässt das Papier flattern
Martons Inszenierung ist vor allem eine hübsche Klangwolke, die, abgesehen von Bebop-Elementen, unverbindlich bleibt. Jelena Kuljic immerhin hat zwischendurch stimmstarke Auftritte als Jazz-Sängerin, begleitet von Paul Brody mit der stimmungsvoll gestopften Trompete. Überraschenderweise kommt Kerouacs legendäre Manuskriptrolle vor. Die Schauspieler, die alle mal Sal sind oder auch Dean und gelegentlich auch eine der Blondinen oder Mexikanerinnen, lesen davon immer mal wieder ein paar Sätze vor. Dann und wann lässt eine Windmaschine das Papier lustig flattern.
Einmal reißen die Darsteller Fetzen aus dem Manuskript herunter und stopfen sie unter die Jacke oder in die Hosentasche und tragen dazu die Klage des Helden über die Beschwerlichkeiten des Baumwollepflückens vor. Vom Darstellerseptett bleibt vor allem Thomas Schmauser in Erinnerung, der den Sal Paradise, mit dem Kerouac sich selbst meinte, mit spastischer Motorik und autistischen Ticks ausstatten muss. Juliane Riedel hält sich das Stück mit metallischem Sprechen erfolgreich vom Leibe.
Bevor er Intendant in München wurde, erklärte Matthias Lilienthal, er möge keine „Kunstkacke“. Natürlich meinte er damit das bürgerliche Sprechtheater, für das seine Vorgänger an den Kammerspielen verantwortlich waren. In seinem Rahmen wahrt Lilienthal aber diese Kontinuität. Er gradet auf Kunstkacke 4.0 up. Die häuft sich zum Beginn der dritten Spielzeit nun überreichlich ausgerechnet über ein Stück Literatur, das nicht zuletzt wegen seiner klaren und unmissverständlichen Sprache bedeutend wurde. Auf der Bühne des Schauspielhauses gerinnt sie zu von Bedeutung befreitem Gelaber.
Münchner Kammerspiele, (Kammer 1), 1., 8., 15. Oktober, 19 Uhr, 26. Oktober, 20 Uhr, Telefon 23 39 66 00