Omer Meir Wellber über "Les Vepres siciliennes"

Nationaltheater: Die Bayerische Staatsoper bringt Giuseppe Verdis französische Oper „Les Vêpres siciliennes“ neu heraus
Vor 50 Jahren war diese Oper zum letzten Mal im Nationaltheater zu sehen. Nun kehrt Verdis „Sizilianische Vesper“ zurück – diesmal in der französischen Originalfassung als „Les Vêpres siciliennes“. Antú Romero Nunes, der am gleichen Ort mit Rossinis „Guillaume Tell“ bereits eine Grand Opéra herausgebracht hat, inszeniert. Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters steht Omer Meir Wellber, der in München bereits „Mefistofele“ und „Andrea Chenier“ neu herausbrachte.
AZ: Herr Wellber, fast alle opernaffinen Menschen reagieren auf das Stichwort „Les Vêpres siciliennes“ mit der Bermerkung „Ach, das ist aber eine lange Oper!“. Stimmt das überhaupt?
OMER MEIR WELLBER: Unser Abend ist eher kurz, weil es viel Energie auf der Bühne gibt. Aber es stimmt: „Les Vêpres siciliennes“ ist länger wie Verdis unmittelbar davor komponierte „La traviata“ und die danach entstandene Urfassung von „Simon Boccanegra“.
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Vielleicht hat die gefühlte Länge mit den fünf Akten zu tun – und mit dem Ballett „Die Jahreszeiten“ im dritten Akt.
Das dauert allein 30 Minuten. Wir spielen das Ballett aber nicht in voller Länge. Dafür ist die israelische Sol Dance Company an der ganzen Aufführung beteiligt. Ich war mir mit dem Regisseur Antú Romero Nunes einig, dass für diese Aufführung eine moderne Entsprechung des französischen Stils gefunden werden muss. In der Ballettszene wird es etwas Besonderes geben, dass wir nicht einmal in der Generalprobe zeigen werden. Ein Experiment, zu dem ich nichts weiter verrate.
Warum haben es Verdis französische Opern bei Publikum vergleichsweise schwer?
Verdi ist nun mal für viele Leute der Inbegriff des Italieners. Da irritiert es, dass er auch Opern in französischer Sprache komponiert hat. Aber wer sich darauf einlässt, wird eine Entdeckung machen. „Les Vêpres siciliennes“ ist weniger berühmt wie „Rigoletto“. Aber es ist kein zweitrangiges Werk. Den ersten, zweiten und dritten Akt halte ich für perfekt. Der vierte geht etwas in die Breite. Die beste Nummer ist das Quartett im fünften Akt. Da warte ich den ganzen Abend drauf. Bei nahezu jeder Probe haben wir uns alle gefragt, warum diese Oper nicht öfter gespielt wird.
Womöglich liegt es am Text von Eugéne Scribe, mit dem Verdi nicht zufrieden war.
Erzählt wird ein Vater-Sohn-Konflikt vor dem Hintergrund der Geschichte Siziliens. Ich könnte das ausführlicher erklären – aber das ist für unsere Produktion nicht so wichtig. Es ist nicht das stärkste der von Verdi vertonten Libretti und wirkt heute altmodisch.
Die Tenorpartie hat den Ruf, mörderisch zu sein. Stimmt das wirklich?
Sie ist lang, sehr hoch und meistens in einer unangenehmen Lage. Man braucht für den Henri eine perfekte Technik. Sonst kann sich der Tenor nach dem dritten Akt verabschieden. Danach hat er aber noch große, wichtige Nummern zu singen.
Aber auch die Sopranrolle der Hélène ist nicht ganz ohne.
Eigentlich bräuchte man dafür drei Sängerinnen. Die Arie im ersten Akt liegt relativ tief. Das, was folgt, fordert eine dramatische „Tosca“-Stimme. Der Rest ist für Koloratursopran. Auch deshalb wird diese Oper selten gespielt.
Rachel Willis-Sørensen hat die Rolle erst im Januar von Carmen Giannattasio übernommen. War das Ihre Empfehlung?
In einer solchen Situation kann man immer auf Nummer sicher gehen oder auf Risiko. Ich bin für das Risiko. Rachel Willis-Sørensen hat die Fiordiligi in meiner „Così fan tutte“ in Dresden gesungen. Sie hat die Hélène innerhalb kurzer Zeit einstudiert. Ich war aber sicher, dass sie es schafft. Es war ein unbekanntes Stück für uns alle – die beste Voraussetzung für eine gute Premiere.
Sie haben die Oper noch nicht dirigiert?
Es ist mein 20. Verdi. Mir fehlen noch sieben oder acht Opern – je nach Zählung, darunter auch „Falstaff“. Ich fühle mich als halber Italiener.
Wie das?
Ich war Daniel Barenboims Assistent während seiner Zeit als Musikdirektor der Mailänder Scala. Seitdem fühle ich mich in Italien wohl.
Aber da gibt es sicher eine verfestigte Verdi-Tradition.
Man muss sich entscheiden, ob man in einem Museum oder in einem Laboratorium arbeiten will. Mich interessiert das Laboratorium. Es ist mir wichtig, die Musik sauber zu machen, wie ich es auch bei Tschaikowsky mache. Damit ist gemeint: Das Pathos rausnehmen. Bei Wagner hat sich das schon weitgehend durchgesetzt, Verdis Musik steht dieser Prozess noch bevor.
Was ist dabei Ihr Ziel?
Weniger Pathos, mehr Rhythmus, nicht pompös. Es ist wichtig, Verdi nicht zu intellektuell anzugehen. Man sollte keinen zweiten Wagner aus ihm machen. Bei Verdi ist die Orchestrierung nicht immer perfekt. Man sollte das hören – wie bei Mussorgskys „Boris Godunow“, wo sich heute auch niemand an Rauheiten stört.
Ist Riccardo Mutis Ansatz für Sie ein Vorbild?
Das ging in die richtige Richtung. Muti hat den Sängern die nicht notierten Spitzentöne ausgetrieben, die niemand braucht. Das war wichtig. Aber das Orchester hat bei ihm noch immer viel Pathos. Ich finde, man muss das trockener spielen, wie Rossini.
Premiere So., 18 Uhr, ausverkauft. Auch am 15., 18., 22. und 25. März sowie am 26. und 29. Juli. Die Premiere live auf BR-Klassik, die Vorstellung vom 18. März als Livestream auf staatsoper.tv
Ein Massaker mit Gesang
Historischer Hintergrund der Handlung ist der sizilianische Aufstand gegen die französische Fremdherrschaft. Der Text stammt von Eugène Scribe und Charles Duveyrier. Uraufgeführt wurde die Oper am 13. Juni 1855 in französischer Sprache am Théatre Impérial de L’Opéra im Rahmen der Pariser Weltausstellung.
Die Liebe entfaltet in dieser Oper keine utopische Kraft: Hélène (Rachel Willis-Sørensen, Sopran) und Henri (Bryan Hymel) werden noch während des Läutens der Hochzeitsglocken wegen der unüberbrückbaren Feindschaft von Sizilianern und französischen Besatzern Opfer eines Massakers.
Henri, einer der Verschwörer um Procida (Erwin Schrott, Bass), erfährt erst im Verlauf der Handlung, dass der gefürchtete französische Gouverneur Montfort (George Petean, Bariton), sein Vater ist.
„Les Vêpres siciliennes“ erlebte in letzter Zeit mit Aufführungen in London und Frankfurt eine Renaissance. Melomanen schätzen den Mitschnitt einer Aufführung der italienschen Version mit Maria Callas, die Erich Kleiber 1951 in Florenz dirigierte (in verbessertem Klang bei Testament, allerdings ohne Ouvertüre).