"Odysseus und Penelope": Ein Jahr Ehe, 20 Jahre Warten

Wie reagiert eine Frau, wenn ihr Mann nach 20 Jahren plötzlich draußen vor der Tür steht? Zehn Jahre war er im Krieg, drei auf Irrfahrten und sieben bei einer zauberhaften Frau.
Der epische Roman am Anfang der europäischen Kulturgeschichte erzählt das bereits psychologisch voll ausgereift. Die "Odyssee" endet mit keinem erleichterten Sich-in-die-Arme-Fallen im Hollywoodstil, sondern thematisiert auch Zweifel, Angst und Zögern seitens der Penelope im Angesicht des Heimkehrers.
Die Ehe dieser mythischen Personen aus Fleisch und Blut
Erst nach einer Lösungs-Phase lässt sie ihn ins gemeinsame Schlafzimmer. "Odysseus und Penelope" setzt erst hier ein, nach dem Wiedersehensschock – in der Inszenierung von Beles Adam, der Frau des Theaterdoyens Gunnar Petersen, der jahrzehntelang den Innenhof der Glyptothek zu einer sommerlichen Pilgerstätte für Humanisten und Klassiksüchtige gemacht hat.
Abschreckend könnte vielleicht der Untertitel "Eine ganz gewöhnliche Ehe" sein, den die Vorlage, der Roman der österreichischen Altphilologin Inge Merkel vor 30 Jahren, vorgab. Aber das führt in die Irre. Denn die Ehe dieser mythischen Personen aus Fleisch und Blut ist alles andere als "gewöhnlich".
Das beginnt schon mit der – nicht erst heute – befremdlichen Treue Penelopes. Nicht nur Feministinnen würden diese Unterwerfung unter die männliche Erwartungshaltung kritisieren. Aber schon in Homers Text gibt Odysseus seine Frau frei, falls er als verschollen gelten würde.
Kein emanzipatorisches Agit-Prop-Stück
Heute im – nach der Renovierung kahleren – Innenhof der Glyptothek endet nach anderthalb spannenden Stunden der Ehe-Dialog in einem Monolog der Penelope. Der Literat James Joyce hat es in seinem modernen Roman "Ulysses" schon einmal vor genau 100 Jahren mit dem Monolog der Molly Bloom als weiblichem Gedankenstrom über den vagabundierenden Mann vorgemacht. Bei Beles Adam sagt jetzt Daniela Voß in einem wunderbar schwebenden Ton zwischen Sarkasmus, Erkenntnis und doch auch wohlwollendem Zugeständnis: "Schon das Weggehen nach einem Ehejahr ist dir leicht gefallen." Aber weil das antike Liebesdrama zwischen Odysseus und Penelope kein emanzipatorisches Agit-Prop-Stück ist, reflektiert Penelope, dass ihre unerwartbare, sie selber überraschende große Liebe zu ihrem abwesenden Mann einen Neuanfang verhindert hat.
In einer überraschenden Wendung am Ende dieses Stückes scheint er aber sogar doch noch möglich für diese Frau von 40 Jahren.
Zuvor durfte Odysseus (Sven Schöcker) von seinen Abenteuern erzählen, auch von seinen Kriegstaten. Er ist dabei stolz, selbstbewusst, betont auch seinen langen Leidensweg. Aber – auch das ist schön: Er wird als Held oder Mann nicht simpel dekonstruiert. Auch wenn er leicht ins Beleidigt-Sein oder kurz Aufbrausende verfällt, wenn seine Frau ihm klug die moralischen Widersprüche seines Denkens und Handelns vorhält. Wie zum Beispiel, dass er sich bereitwillig von einer fremden Frau in ein Schwein hat verwandeln lassen, aber eifersüchtig Besitzansprüche auf die eigene Frau aufrecht erhalten hat.
Kein leichtes Sommertheater
Wie immer bei den Theaterspielen am Königsplatz gibt es vor Beginn Brot, Wasser und Wein, was dem Sommerabend etwas schön Rituelles verleiht, aber auch Vorgespräche anregt. Zuviel Wein sollte man aber nicht getrunken haben, denn der Text ist kein leichtes Sommertheater: sanft klingt der antik-lyrische Satzbau an, auch wenn dazwischen salopp modern Begriffe wie "Drecks-Ilion" fallen. Ilion für Troja, die Meeresungeheuer Skylla und Charybdis, Kalypso und Kirke, Achill, "das Vieh", wie Christa Wolf einmal den großen Kämpfer der Griechen genannt hat: Alles wird auch ohne Kenntnis der "Odyssee" klar, aber ganz voraussetzungslos wird man den klugen, zeitlos paarpsychologischen Abend nicht genießen können.
"Odysseus und Penelope" ist humanistisches Volkstheater mit Anspruch, den auch die beiden Schauspieler mit ihrer konzentrierten, intensiven Spielweise unterstreichen. Sie kommen fast völlig ohne Requisiten aus, können auf einer einfachen Bühnenschräge alles sehr nahbar ausspielen. Und die schwierige Akustik des Innenhofs wurde mit einer sanften Verstärkung durch Headsets und Lautsprecher wunderbar gelöst.
Glyptothek, täglich, bis Mitte September, 20 Uhr, donnerstag 20.30 Uhr, 28/16 Euro (inklusive Wasser, Wein, Brot), www.theaterspieleglyptothek.de, Karten: 0171 3006259 oder s.schoecker@theaterspieleglyptothek.de und an der Abendkasse