"Nystagmus": Ein wirrer Seelenstriptease
„Nystagmus“ des israelischen Regisseurs Eyal Weiser zeigt uns „eine große deutsche Kunstausstellung", aber es ist völlig unklar, was er dem gequälten Publikum überhaupt sagen will
Nystagmus nennt die Medizin ein unkontrolliertes Zucken der Augäpfel, das die Wahrnehmung beeinträchtigt. Dieses Krankheitsbild unterstellte Hitler den Malern, die er 1937 mit der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst" an den Nazi-Pranger stellen ließ und deren verfemte Werke danach verramscht, enteignet, gestohlen und verschoben wurden. „Nystagmus - Eine große deutsche Kunstausstellung" nennt der israelische Regisseur Eyal Weiser seine Uraufführung am Volkstheater, wo er zwei Mal beim Festival „Radikal jung" zu Gast war.
Krude, grausame deutsche Familiengeschichte
Weiser hat sich spezialisiert auf Fiktion. Er erfindet Künstler, Werke, Biografien – fürs Publikum ununterscheidbar von damit verwobener Realität. Das war in seinen hier gezeigten Gastspielen „My Jerusalem" und „This Is the Land“ sehr irritierend und überzeugend. Das ist auch das Prinzip von „Nystagmus". Nur leider geht es da überhaupt nicht auf. Die Theaterbesucher werden eingangs auf der Bühne durch eine Ausstellung geführt. Wenn sie dann im Parkett sitzen, preist der Kurator Anton Ehrlich (Oliver Möller) hochverschwurbelt die Kunst als einzigen Gedanken- und Entscheidungs-Freiraum. Schwul-blond-arisch transgendergestylt erzählt Uriah Rein-Merchav (Max Wagner) von seiner Familie: Die schizophrene Tante wurde von den Nazis ermordet (ihr Porträt zeichnet Wagner großflächig mit einem Seil auf die weiße Wand), der Goßvater war bei der SS, die deutsche Mutter depressiv nach Kriegstod des Israeli-Gatten. Sie berichtet ihr Leben als Projektion in Wagners Maske.
Dann kippt das Stück ins Peinliche
Bis dahin folgt man der Inszenierung noch willig und sucht nach der Verbindung von heute zur Kunstrezeption im Dritten Reich. Ein Derwischtanz von Zwillingen, die mit Schlagworten den sexualisierten Werbungskommerz zitieren, sorgt für Umbaupausen. Danach verliert eine esoterische Geisterbeschwörerin (Ursula Maria Burkhart) sich in die Seele des von Hitler gelobten Jesus-Darstellers der Oberammergauer Passion 1937 und zitiert Biblisches bis zur Trance. Das ist einfach nur peinlich, da helfen auch keine halbkomischen Unterbrechungen der Tochter und einer angeblich spontan aus dem Publikum aufgestandenen Befragerin mehr. Noch peinlicher wird der dritte Teil mit dem als Schamanen ausstaffierten Proll-Fäkal-Künstler Bruno Spatz (Jean-Luc Bubert). Der fantasiert von Mutti und Muschi, pisst in alle Ecken, assistiert von seiner schicken Assistentin Magdalena Wiedenhofer im avatar-blauen Cat-Suit.
So lange ums Eck gedacht, bis es platt wird
Da läuft Weisers Konzept völlig aus dem Ruder. Es gibt keinen Konnex mehr zur Historie von 1937, es geht nur noch um eine billige Parodie des heutigen Kunstmarktes und unserer Reaktion darauf. Man hat wohl um so viele Ecken herum gedacht, dass es zum unguten Ende nur noch kurzschlüssig und platt wird. Dass im visuellen Konzept von Rami Maymon manches Video wegen einer Technik-Panne bei der Premiere unsichtbar blieb, fiel niemandem auf, wurde also auch nicht vermisst. Vermisst hat man eine Aussage: Was will Eyal Weiser den Deutschen damit sagen? Die Zuschauer werden vorgeführt und in die Falle gelockt: Buhen sie, sind sie avantgarde-feindliche „Nazis“. Jubeln sie, gehen sie der Provokation auf den Kunst-Leim. Bubert als Bruno Spatz zeigt uns am Ende ausgiebig sein blankes Gesäß. Ein klares Bild dafür, dass man hier verarscht wird.
Volkstheater, 10., 21. Mai, 5. Juni, 19.30 Uhr, 523 46 55, muenchner-volkstheater.de
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