"Noah" von Jessica Glause nach Benjamin Britten mit jugendlichen Münchnern und Migranten

Klar, alles wollen auf die Arche: Jessica Glause erzählt mit Migranten im Rennertsaal der Staatsoper die alte Geschichte von Noah und der Sintflut neu
von  Robert Braunmüller
Das Projekt "Noah" im Rennertsaal des Probengebäudes der Bayerischen Staatsoper.
Das Projekt "Noah" im Rennertsaal des Probengebäudes der Bayerischen Staatsoper. © Wilfried Hösl

Theaterprojekte zu Flucht und Migration sprießen in München derzeit wie junger Spargel. Das hat mit dem lauwarmen Regen aus der wohlgefüllten Förder-Gießkanne des städtischen Kulturreferats zu tun. Die Bayerische Staatsoper ist darauf nicht angewiesen. Und ihre Vertreter versichern glaubhaft, bereits vor Zuspitzung der Krise in Syrien das Projekt „Noah“ geplant zu haben. Wer mit dem Zeitbegriff großer Theaterbetriebe vertraut ist, wird das gerne glauben.

Noch wichtiger aber ist: Dieses Projekt der Regisseurin Jessica Glause zieht jüngere und ältere Zuschauer geschickt in das Thema hinein. In knapp 90 Minuten wird man nach ein paar Präliminarien über den biblischen Noah mit persönlichen Geschichten zu Flucht und Vertreibung konfrontiert.

Was die mitwirkenden Münchner mit und ohne Migrationshintergrund im Alter von 13 bis 23 Jahren zu berichten haben, ist manchmal anrührend, aber bisweilen auch tragikomisch: Zwei junge Syrer reichen Oliven und berichten über den Anbau der Frucht in ihrer Heimat. Der eine hat Agrartechnik studiert, aber mittlerweile eingesehen, dass das in Deutschland wenig bringt. Ein anderer begriff lange nicht, dass München in Germany liegt – seinem eigentlichen Ziel. Einen dritten brachte ein Gauner am Hauptbahnhof um sein letztes Geld: Er druckte am Automaten nur den Fahrplan aus und steckte die 200 Euro selbst ein. Eine junge Frau aus Nepal erzählt, sie habe sich unsere Stadt viel moderner vorgestellt – mit Hochhäusern wie in New York. Aber es gefalle ihr trotzdem.

Entkernter Britten

Den Rahmen bildet die Geschichte der Sintflut. Die Mitwirkenden zitieren die biblische, die islamische und eine hindustische Variante. Später wird überlegt, wer auf die Arche darf: Das entscheidet nicht – wie am Mittelmeer – ein Schlepper nach Zahlungskraft, sondern eine Casting-Show nach Schönheit, Alter und Verliebtheit. Aber am Ende werden doch alle mitgenommen. Die Zuschauer begeben sich in den zentralen Holzkasten, auf den von außen getrommelt wird. Ist es der Regen der Sintflut? Oder sind es diejenigen, die nicht in die Arche dürfen?

Die Aufführung verlässt in solchen Momenten die allgemeine Wohlfühl-Zone. Ein junger Mann kommt auf die Vorfälle an Silvester in Köln zu sprechen. Die Flüchtlinge sähen zwar alle gleich aus, wie die Finger an einer Hand. Aber wie diese seien sie nicht alle gleich. Am Ende nehmen alle Beteiligten kurz die Perspektive Gottes ein: Aus himmlischer Entfernung wirken die Probleme des Blauen Planeten eher klein. Zuwanderung wird als Chance der Bereicherung begriffen, und die Aufführung endet in einem gemeinsamen Tanz zu orientalischer Musik.

Von Benjamin Brittens eher steifleinernem Mysterienspiel „Noye’s Fludde“ aus dem Jahr 1959 blieb nicht viel übrig. Aber das ist kein Schaden. Der Münchner Musiker Benedikt Brachtel hat musikalische Beiträge der Mitwirkenden aufgegriffen und arrangiert. Jessica Glauses Inszenierung weicht den Widersprüchen des Themas nicht aus, lässt sich aber auch von der biblischen Strenge des Stoffes nicht anstecken. Sie nimmt das Schwere leicht. Besser kann man’s im gegebenen Rahmen eigentlich nicht schaffen.

Rennert-Saal, Neues Probengebäude, 10./11.5., 19.30 Uhr, 13.5., 17 und 19.30 Uhr, 14.5., 16 Uhr; www.staatsoper.de

 

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