Interview

Nikolaus Bachler im Interview: "Ich komme vom Kasperl"

Nikolaus Bachler über die Bayerische Staatsoper als künstlerisches Biotop und sein Verständnis vom Theater.
von  Robert Braunmüller
Jonas Kaufmann und Anja Harteros in "Tristan und Isolde". Mit der fünften Aufführung dieser Neuinszenierung von Krzysztof Warlikowski gehen am heutigen Samstag die Münchner Opernfestspiele zu Ende. Die Aufführung wird ab 17 Uhr als Livestream auf staatsoper.tv ins Internet übertragen und bleibt anschließend 24 Stunden kostenlos als Video-on-Demand online.
Jonas Kaufmann und Anja Harteros in "Tristan und Isolde". Mit der fünften Aufführung dieser Neuinszenierung von Krzysztof Warlikowski gehen am heutigen Samstag die Münchner Opernfestspiele zu Ende. Die Aufführung wird ab 17 Uhr als Livestream auf staatsoper.tv ins Internet übertragen und bleibt anschließend 24 Stunden kostenlos als Video-on-Demand online. © Wilfried Hösl

München - Am Samstag verabschieden sich Kirill Petrenko und Nikolaus Bachler mit "Tristan und Isolde" von der Bayerischen Staatsoper. Bachler kam vor 13 Jahren vom Wiener Burgtheater nach München. Er ist bereits Geschäftsführer der Osterfestspiele Salzburg, deren künstlerische Gesamtverantwortung er 2022 übernehmen wird.

Nikolaus Bachler im Treppenhaus des Nationaltheaters.
Nikolaus Bachler im Treppenhaus des Nationaltheaters. © dpa

AZ: Herr Bachler, wenn Sie zurückschauen, was war für Sie der Höhepunkt Ihrer Intendanz und was der größte Flop?
NIKOLAUS BACHLER: In meinem Blick auf das Metier gibt es keine Rückschau und keine Ära. Das Theater entzieht sich alledem als transitorische Form: Wenn der Vorhang fällt, ist es verschwunden und lebt allenfalls in den Herzen, Gedanken und Seelen der Zuschauer weiter. Ich habe daher kein Verhältnis zur Vergangenheit. Im Moment ist für mich Top, dass wir die Festspiele machen dürfen.

Nikolaus Bachler will am Theater eine angstfreie Grundstimmung erzeugen

Aber irgendwas muss doch auch in Ihrem Herzen bleiben.
Ich erinnere mich gerne an die "Soldaten" von Bernd Alois Zimmermann mit Kirill Petrenko, aber genauso freut es mich, wieder Martin Kušejs Inszenierung von Antonin Dvoøáks "Rusalka" zu sehen, die ich für eine ganz starke Setzung halte, die auch heute noch etwas zu sagen hat.

Wie kamen solche Produktionen zustande?
Es ist mir gelungen, ein künstlerisches Biotop zu schaffen, das Sängerinnen und Sänger wie Anja Harteros, Jonas Kaufmann, Marlis Petersen oder Christian Gerhaher so angezogen hat, dass sie immer etwas Neues machen wollten. Mir ist schon früh am Theater klar geworden, wie wichtig es ist, eine angstfreie Grundstimmung herzustellen, und zwar auch in allen Abteilungen und bei allen Mitarbeitern, die eine produktive künstlerische Arbeit ermöglicht. Gerhaher zum Beispiel hätte ohne dieses wechselseitige Vertrauen nie den Lear gesungen.

Wie erzeugt man diese Stimmung?
Ich versuche ein künstlerisches Verhältnis zu den Menschen zu entwickeln, die in meinem Theater singen oder inszenieren. Bei der Biennale in Venedig habe ich mich in die Arbeiten von Phyllida Barlow verliebt. Ich dachte dabei an Ödipus und die griechische Tragödie. Dann habe ich nach einer Oper gesucht, zu der ihre Arbeiten passen könnten. So kam es zu ihrer Ausstattung von "Idomeneo".

"Diskurs und Debatte gehören zum Theater"

Gab es Inszenierungen, die vom Publikum oder der Kritik verkannt wurden?
Vieles. Aber das liegt in der Sache. Diskurs und Debatte gehören zum Theater. Natürlich will jeder Künstler und jeder Intendant geliebt werden, wie jeder Mensch. Aber wenn man einen Schritt zurücktritt, erweist sich die Auseinandersetzung als das eigentlich Spannende. Wobei die oft mehr über den Beobachter verrät als über das Kunstwerk und den Künstler.

Sie fühlten sich im letzten Jahr von der Politik im Stich gelassen. Ist dieser Groll verraucht?
Im Moment macht es mich sehr glücklich, dass das nur halb besetzte Nationaltheater die gleiche Energie abgibt wie ein ausverkauftes Haus. Ich kann vor allem nicht nachvollziehen, dass die Modellversuche und Pilotprojekte ohne Wirkung geblieben sind. Wobei ich durchaus konzediere, dass Politiker mit der Situation so überfordert waren wie jeder Mensch. Für einen Intendanten ist der Widerspruch zwischen einem unter Beschränkungen leidenden Theater und den Zuständen im Englischen Garten oder einem Fußballstadion schwer auszuhalten.

Die Kritik, dass Sie vom Sprechtheater kommen, ist nie ganz verstummt.
Ich komme aus einem sehr musikalischen Elternhaus. Als ich Intendant der Wiener Festwochen wurde, war Peter Brooks "Carmen" ein Schlüsselmoment, mich stärker mit der Verbindung von Inhalt und Musik zu beschäftigen. Die konventionelle Form mit stehenden Sängern in Kostüm und Maske war nie etwas für mich.

"Warlikowski ist ein Meister des Kammerspiels"

Gibt es etwas, was Sie gerne gemacht hätten, das aber nicht zustande kam?
Leider ist mir der Pavillon 21 auf dem Marstallplatz entglitten. Nach zwei Jahren war er verrostet - ein bitteres Missgeschick, denn ich hätte gern einen solchen flexiblen Raum gehabt. Und außerdem wollten wir damit auch reisen.

Beim Lesen Ihres Buchs fiel mir ein mittel- und osteuropäischer Schwerpunkt bei den Regisseuren auf, den ich vorher nicht so wahrgenommen habe.
Ich komme aus Österreich, aus dem Herzen Mitteleuropas. Ich halte es für ein großes Versäumnis, dass meine Heimat nicht wieder die alte Rolle einer Brücke zwischen Ost und West übernommen hat. Ich bin als Intendant der Wiener Festwochen durch Osteuropa gereist, um junge Regisseure kennenzulernen. Einer davon war Krzysztof Warlikowski.

Bachlers größter Erfolg: Es gelang ihm 2010, Kirill Petrenko (Mitte) nach München zu locken. Rechts der damalige Kunstminister Wolfgang Heubisch.
Bachlers größter Erfolg: Es gelang ihm 2010, Kirill Petrenko (Mitte) nach München zu locken. Rechts der damalige Kunstminister Wolfgang Heubisch. © dpa

Warlikowski ist nicht gerade der Regisseur der Herzen vieler Münchner Opernbesucher. Was schätzen Sie an seiner Arbeit?
"Tristan und Isolde" ist ein Kammerspiel, Warlikowski ist ein Meister des Kammerspiels, weil er nicht nur in der Psychologie gräbt, sondern auch in der Symbolik. Und er entdeckt einen Punkt, von dem aus er erzählt. In dem Fall ist es Tristans Kindheit. Ich weiß, dass das viele anders sehen, aber ich finde, es gibt nichts Glamouröseres und gleichzeitig Stärkeres wie die Räume von Malgorzata Szczesniak. Außerdem ist es eine wichtige Frage bei der Entscheidung für eine bestimmte künstlerische Konstellation, wer mit wem wie gut arbeitet. In dem Punkt hatte ich in meiner Zeit nur ein Problem: Anna Netrebko und Hans Neuenfels in "Manon Lescaut".

Nikolaus Bachler
Nikolaus Bachler © Markus Jans

Sie haben Otto Schenks und Jürgen Roses vielgeliebten "Rosenkavalier" ersetzt. Warum sind andere alte Inszenierungen geblieben?
Ich bin für das Spielerische im Theater. Die "Bohème" ist wie ein alter Film, wir spielen sie an Weihnachten. Man braucht nicht für alles die große dramaturgische Linie, ohnehin schlafe ich ein, wenn ich Worte wie "Da-Ponte-Zyklus" höre. Viele meiner Intendanten-Kollegen kommen von der Regie und der Dramaturgie - und damit von der Uni. Ich komme von Molière und vom Kasperl, ich liebe die Begeisterung, den Moment, auch das Fahrlässige und Unbedachte am Theater.

Fallen Sie am Sonntag in ein Loch?
Ich liebe Abschiede. Nach den 13 Jahren ist es genau der richtige Punkt, gemeinsam mit Kirill Petrenko zu gehen. Ich werde kein Loch suchen und keines finden.

Bleiben Sie in München?
Ich werde wahrscheinlich nach Wien ziehen. Es ist heilsam und gut, wenn man eine Institution wie die Staatsoper einem anderen übergibt, die Stadt zu verlassen.

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