Nicolas Stemann über Strindbergs "Der Vater"

Am Sonntag ist Premiere mit „Der Vater“ von August Strindberg in der Kammer 1. Mit diesem Ehedrama aus dem Jahr 1887 verabschiedete sich Nicolas Stemann als einer der beiden Hausregisseure (neben Christopher Rüping) von den Kammerspielen. Ab der Spielzeit 2019/2020 wird er mit Benjamin von Blomberg, derzeit Chefdramaturg an der Maximilianstraße, die Leitung des Züricher Schauspielhauses übernehmen.
AZ: Herr Stemann, bei Ihren Arbeiten verzichten Sie meist auf feste Rollenzuschreibungen. In „Der Vater“ legte Strindberg das Personal mit fünf Herren und drei Damen fest. Bei Ihnen spielen drei Damen und zwei Herren. Wie funktioniert das?
NICOLAS STEMANN: Aus verschiedenen Gründen ist klar, dass die Spieler nicht die Figuren sind und es auch nur bedingt sein können. Sie sind ja auch sehr jung.
Einer der Ältesten ist mit 41 Jahren Daniel Lommatzsch. Er könnte gerade so als der Rittmeister durchgehen.
Aber es ist genau diese Differenz, die wir immer betonen. Wir thematisieren verschiedene Dinge: Einmal ist es die Komponente, dass hier Rollen sind, die gespielt werden. Dann ist man auch sehr schnell bei der Thematik des Stückes. Es sind nicht nur zwei Menschen oder zwei Liebende, die miteinander in einem Konflikt sind, sondern es sind auch zwei Rollen. Es ist „der Mann“ und es ist „die Frau“. Aus der neueren feministischen Theorie weiß man, dass man bei solchen Essenzen misstrauisch sein muss. Ist es biologisch? Oder ist es eine soziale Konstruktion? Und damit, dass man Leute zeigt, die im Durchschnittsalter jung sind, hat man natürlich auch den zeitgemäßen Blick auf den Geschlechterkampf. Vielleicht gibt es eine Generation, die ihn überwindet. Das hat meine Generation noch nicht geschafft, auch wenn wir schon weiter sind als die Generation meiner Eltern.
Wie kommt ein Erzpatriarch wie August Strindberg auf Ihren Spielplan?
Ich will das schon seit Jahren machen und bin damit immer gescheitert. Alle möglichen Dramaturgen haben es mir immer ausgeredet, weil sie meinten, das sei verschmocktes 19. Jahrhundert. Und dann ist es auch in explizit antifeministischer Absicht geschrieben – das Klischee einer Frau, die ihren Mann in den Wahnsinn und dann in den Tod treibt. Das war Strindbergs Antwort auf Feministisches wie Ibsens „Nora“: Ich mache die Anti-Nora und zeige es den Blaustrümpfen. Aber wir haben es trotzdem mit einem Stück zu tun, das vom Ende des Patriarchats handelt.
Ein noch immer nicht abgeschlossenes Projekt.
Das ist eine Strömung, mit der wir es heute wieder massiv zu tun haben: Von den Ansprüchen der Frauen überforderte Männer, die zurückschlagen und sich nur noch als Opfer erleben. Sie werfen sich autoritären Herrschern in die Arme oder werden anfällig für völkische, rechtsradikale Strömungen. Ob Islamisten, Rechtsradikale oder Trump-Wähler: Es sind immer diese Männerrechtler, die sagen, jetzt reicht es mit dem Genderwahn. Diese Leute sind ja nicht nur böse, sondern verunsichert. Dafür einen künstlerischen Ausdruck zu finden, ist das Stück mehr als nur geeignet.
Und die Frauen?
Es ist interessant, wenn man Nora und Laura, die Ehefrau im „Vater“, vergleicht. Nora befreit sich auch aus ihrer Ehe, dem Puppenhaus der Familie, und verliert alles – vielleicht außer ihrer moralischen Integrität. Sie bleibt als Figur rein und unbeschädigt, verliert aber die Kinder, den Mann, das Haus und das Geld. Laura überwindet den Mann und ermächtigt sich. Sie ist nicht moralisch rein, aber sie gewinnt und behält alles. Nur der Mann ist weg. Das ist letztlich der erfolgreichere feministische Befreiungsversuch und hinterlässt Schäden am System.
Als Hausregisseur gehören Sie zur Leitungsebene. Hat Sie die Entscheidung von Matthias Lilienthal überrascht, seinen Vertrag nicht über 2020 hinaus zu verlängern?
Mich überrascht und empört, dass die Münchner Politik das zulässt. Ich halte das für einen fahrlässigen Fehler. Natürlich ist sein Verzicht auf die Fortführung seiner Intendanz auch eine Reaktion darauf, was ihm von der Politik signalisiert wurde. Dazu hätte man es überhaupt nicht kommen lassen dürfen. Vor allem in einer Spielzeit wie dieser mit zwei Inszenierungen beim Berliner Theatertreffen und Schauspielerpreisen wie für Wiebke Puls. Die Realität des Theaters hat sich doch gerade emanzipiert von der lokaljournalistischen Debatte, die meiner Meinung nach nie die Realität abgebildet hat. Sicher war nicht jede Produktion gut, aber wenn man auf die letzten drei Spielzeiten zurück blickt, ist das ein so reiches Programm, ein so theatralisches und sinnliches Programm, und es passiert genau das, wofür Matthias Lilienthal engagiert wurde: Das Stadttheater weiter zu führen, neue theatralische Formen zuzulassen, von den „alten“ Formen die avancierteren Positionen vorkommen zu lassen.
Was ist dann schiefgelaufen?
Die Debatten wurden von vornherein sehr ressentimentgeladen geführt. Es ging immer um Schimären wie Performance gegen Schauspieltheater. Oder: Ist das noch Sprechtheater? Wann ist ein Schauspieler ein wirklich deutscher Schauspieler? Dadurch wurde überhaupt nicht mehr hingeguckt und vieles von großer Qualität übersehen. Es gab auch viele Missverständnisse und man dachte, weil man sich in Berlin auf Chris Dercon einschießt, könnte man hier Lilienthal mit den gleichen Argumenten bekämpfen. Man hat überhaupt nicht gesehen, wie unterschiedlich diese Phänomene sind. Dercon an der Volksbühne: Das wurde einfach für das böse Gesicht der Gentrifizierung gehalten. Er stieß auf breiten Widerstand, weil man denkt, die Stadt wird gerade an Leute aus London oder Brüssel verkauft. Matthias Lilienthal – der Neuköllner an der Maximilianstraße: Das erzählt das genaue Gegenteil. Die Ausrichtung und Qualität der beiden Häuser sind überhaupt nicht zu vergleichen.
Sie wechseln bald nach Zürich. Keine Stadt, die berühmt dafür ist, begierig auf neue Theaterfomen zu warten.
Das glaube ich gar nicht. Die Züricher Zuschauer sind nicht so leicht einzuschätzen. Die Stadt ist auch sehr avanciertes und Theater gewöhnt. Noch immer schwärmen alle von Christoph Schlingensief, der mit seinem „Hamlet“ eine riesige Provokation gelandet hatte. Der Deutsche, der Neonazis auf eine Schweizer Bühne setzt, war ein Riesenskandal in der Stadt, hatte aber glänzende Zuschauerzahlen. Die Marthaler-Ära hatte bestimmte finanzielle Probleme und auch polarisiert, ist aber im nachhinein eine künstlerisch interessante und übrigens auch publikumsmäßig nicht erfolglose Ära. Matthias Hejny
Kammer 1, Premiere am So., 19.30 Uhr, nächste Vorstellungen 2., 7., 20., 29. Mai, Telefon 23396600