„Nichts von euch auf Erden“ nach dem Roman von Reinhard Jirgl
Die Marsianer greifen an, und trotzdem ist das neue Stück der Kammerspiele den Mitgliedern der „Star-Wars“-Gemeinde, die in diesen Tagen die Kinos scharenweise anlässlich der siebten Episode der Weltraum-Saga bepilgern, nicht uneingeschränkt zu empfehlen. Die Verstörung beginnt schon damit, dass es keine amüsant gruselig anzuschauenden Aliens sind, die die Erdlinge heimsuchen, sondern Menschen. Sie sind Nachfahren von Sträflingen und anderen unerfreulichen „Existenzen“, die im 23. Jahrhundert ins All geschossen worden sind, um auf dem Mars eine Kolonie zu errichten.
Mit dem Roman „Nichts von euch auf Erden“ veröffentlichte der Büchner-Preisträger Reinhard Jirgl vor zwei Jahren eine Science-Fiction-Story, deren Geschichtspessimismus sogar Heiner Müller wie einen Comedy-Autor aussehen lässt. Natürlich droht das vermessene Vorhaben, den Mars zu einer lebensfreundlichen Gegend zu machen, zu scheitern. Im 25. Jahrhundert reist die Elite des roten Planeten, die gerne Baby-Hirne aus Kinderschädeln löffelt, zurück auf die Erde, um frische Sklaven zu rekrutieren. Mit deren Hilfe soll die Achse des Mars leicht verschoben werden, um bessere Voraussetzungen für eine erdähnliche Atmosphäre zu schaffen.
So etwas wie der Held ist BOSXRKBN 181591481184 – Freunde dürfen auch „Bo“ sagen. In der Inszenierung von Felix Rothenhäusler in der Kammer 2 wird er auf drei Darsteller verteilt: Christian Löber, Maja Beckmann und Marie Rosa Tietjen. Seit einer gentechnologischen Panne auf der Erde ist der Mensch ohne jede Aggression. Wie Rothenhäusler wohl eher unfreiwillig nachweist, sind derart weich gespülte Personen nicht für das Drama tauglich. Der erste Teil plätschert im wahrsten Sinne des Wortes in einem fußhoch tiefen Pool vor sich hin. Allen dreien genügt dafür nur ein einziger und sehr, sehr sanfter Tonfall.
Für wenige Minuten aber wird die Aufführung spannend: Perfekt organisierte Bühnenarbeiter rollen die Wasserfläche zusammen, ohne herumzuspritzen. Diese Meisterleistung lenkt auch von einem Solo der bedauernswerten Wiebke Puls und ihrem lächerlichen Kostüm als Mars-Frauchen ab.
Was Rothenhäusler dazu bewog, Jirgl zu einer Bühnenfassung seiner auf rund 500 Seiten weit ausgreifenden Dystopie zu überreden, bleibt ebenso rätselhaft wie alles an diesem Abend. Schon die berüchtigte Jirglsche Interpunktion macht den Roman nicht zu einem Lesevergnügen. Kann man in einem Buch wenigstens zurück blättern, ödet die Inszenierung als Live-Geräusch mit seltsamen Textwucherungen sowie mal sphärischen, mal perkussiven Sounds (Matthias Krieg) ohne jede theatrale Bodenhaftung und jenseits des Nachvollziehbaren über drei bleierne Stunden ohne Erbarmen vor sich hin.
Münchner Kammerspiele, (Kammer 2, vormals Spielhalle), 20. Dezember, 18 Uhr, 22., 30. Dezember, 20., 25., 30. Januar, 19.30 Uhr, Telefon 23396600
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