"(Nicht)Mütter!" im Marstall: Wie frei ist man so als Frau?
Hellgrau und mächtig steht ein Baum mitten im Raum. Er ist eine abstrakte Skulptur, aber auch ein Baum des Lebens, an dessen Ästen Flüstertüten gewachsen sind. Beim Einlass sind Atemgeräusche zu hören. Jede dieser 22 Lautsprecher gehört zu jeweils einer Person, die für das "kollektive Rechercheprojekt" befragt wurden. Die Idee für "(Nicht)Mütter!" im Marstall hatte die Resi-Schauspielerin Lisa Stiegler, die in einem Programmheftbeitrag die Frage stellt: "Sind unsere Körper wirklich frei?"
Natürlich ist das eine rhetorische Frage, denn Stiegler muss nicht an eine ferne Vergangenheit mit Normen, die "von Generation zu Generation weiter eingeschrieben" wurden, erinnern. Erst vor drei Wochen hat der Bundestag den Paragrafen 219a abgeschafft, nach dem Ärztinnen und Ärzten verboten war, Informationen über Abtreibung zu veröffentlichen. Und die USA haben ihr Abtreibungsrecht mit einer gleichfalls Ende Juni vom Supreme Court gefällten Entscheidung auf den Stand von 1972 zurückentwickelt.
Den Text zum Projekt lieferten 21 Frauen und eine Transfrau über einen Fragebogen. Das Spektrum reicht von der 19-jährigen alleinerziehenden Abiturientin bis zur 92-jährigen Urgroßmutter. Dazwischen gibt es die 30-Jährige, die noch nicht entschieden hat, ob sie Kinder möchte, die 61-Jährige mit unerfüllt gebliebenem Kinderwunsch oder die 38-jährige Leiterin einer Kita, die keine Kinder will. Sie wurden danach befragt, was sie unter dem Begriff "Mutter" verstehen, nach dem Verhältnis zur eigenen Mutter beziehungsweise "den eigenen Müttern" oder was sie wütend macht.
Das Experiment: Alice Schwarzer aktualisiert auf 4.0
Die Antworten werden zum Teil eingespielt, zum Teil von den Schauspielerinnen Barbara Horvath und Lisa Stiegler sowie der auch als "DJ* BiMän" bekannten Theresa Bittermann live gesprochen. Erwartungsgemäß ist die Vielfalt der Lebenserfahrungen und der Einstellungen groß. Es gibt Mütter, die mit Schwangerschaft und Geburt ihren eigenen Körper glücklich als Ursprung neuen Lebens erlebten. Es gibt auch Mütter, die die Tortur auf keinen Fall noch einmal durchleben müssen.
Was diese 90 Minuten aber zu einem einzigartigen und höchst eindringlichen Theaterabend machen, ist die schonungslose Aufrichtigkeit, mit der Mütter wie Nichtmütter ihre Erkenntnisse und Erfahrungen zu Protokoll geben. Dabei geht es physisch wie psychisch immer wieder ans Eingemachte. Es werden zudem Themen angesprochen, die eigentlich während der letzten 50 Jahre hätten geklärt sein sollen: Die geschlechterabhängige Bezahlung in vielen Berufen oder die Schwierigkeiten, in gebärfähigem Alter befördert zu werden, gehören dazu.
Fragen wie solche bleiben fast im Raum hängen: "Warum muss ich in eine kleinere Wohnung ziehen, wenn ich mich vergrößert habe?". Oder der Widerstand einer "Person, die menstruieren und oder sich reproduzieren" könnte, das aber nicht macht und feststellte, dass der Verzicht auf Kinder als "unterlassene Leistungen an der Gesellschaft" verurteilt werde. Um, in und an der Rauminstallation von Marie Gimpel entsteht ein komplexes Puzzle aus nicht gleichförmigen Teilen, das dennoch ein kraftvolles Bild ergibt - Alice Schwarzer aktualisiert auf 4.0. Ein Experiment, das nicht nur wichtig ist für Mütter und Töchter, sondern vor allem für Väter und Söhne.
Marstall, 19. und 20. Juli, 20 Uhr, Karten unter 089 21851940
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