Nicht verdrängen, hinfahren!
Orest ist tot! Elektra flieht nach der Falschmeldung verzweifelt in ihr Zimmer, das die sich drehende Bühne freigibt: Es ist ein vermüllter Raum, voller Pappkartons, mit alten Vogelkäfigen, Lampenschirmen und Sperrmüll aller Art.
Dann erzählt Lorenzo Fioronis Inszenierung die Handlung doppelt weiter: als Realiät und Wahn. Die Todesnachricht ist nicht, wie bei Hofmannsthal, eine List des Orest, sondern die von Elektra verleugnete Wirklichkeit. Sie erwürgt erst ihre Schwester, die ihre Komplizin nicht werden will, erschlägt die Mutter Klytemnästra und deren Mann Ägisth. Dann – wir befinden uns in den späten 1960er Jahren – kehrt ihr Vater Agamemnon heim: ein Nazi-General, der von einem bayerischen Dorf gefeiert wird und den einarmigen Flakhelfer Orest mitbringt.
Das wird spannend erzählt und ist psychologisch stimmig. Fioronis Inszenierung holt ein Musikdrama von Richard Strauss, das leicht wie ein staubiges Möbel im Repertoire herumsteht, auf den Boden der Tatsachen zurück. Elektras Vergangenheits- und Racherausch ist kritisch gebrochen, die an sich unspielbare Schluss-Szene wird plötzlich glaubhaft. Und wer mag, kann sich auch an die vom Komponisten bald bereuten Sympathien für die Nazi-Machthaber erinnern.
Die Musik klingt wegen der verkleinerten Besetzung schärfer und bläserbetonter als üblich. Der scheidende Chefdirigent Dirk Kaftan begleitet mit den Augsburger Philharmonikern sorgfältig, verweigert in den letzten Sekunden mit sehr gedehntem Tempo allerdings die Dialektik von Rausch und Tod. Wer mit der „Elektra“ in München aufgewachsen ist, wird den rauschhaften Klang vermissen, wer das Riesenorchester nie erlebt hat, dem dürfte aber auch nichts fehlen.
Mit der Besetzung der hochdramatischen Rollen haben auch große Häuser ihre Schwierigkeiten. Elena Nebera braucht lange, um sich als Elektra mit ihrer dunkel timbrierten Stimme warmzusingen. Lyrisches gelingt ihr noch am besten. Kerstin Deschers Klytämnestra verdrängt ihre erste Ehe mit dem Nazi-General in einer Psycho-Kommune, die sich in einer Altbauwohnung (Bühne: Paul Zoller) eingenistet hat. Sally du Randt singt und spielt die Chrysotemis mit der ihr eigenen Verlässlichkeit, und der eher raue Bassbariton von Stephen Owen passt gut zum Orest, der hier als Agamemnons Geist umgeht. Am gesündesten singt Gerhard Siegel den Ägisth.
Aber das mindert kaum das intellektuelle Vergnügen an diesem Opernkrimi. Es ist die beste Strauss-Inszenierung, die dem Rezensenten in den letzten Jahren untergekommen ist. Also, nichts wie hin: Augsburg ist nur eine halbe ICE-Stunde entfernt und die Rückfahrt nach der Aufführung auch kein Problem.
Wieder heute und am 10., 14. und 28. 4., Telefon 0821 / 324 49 00
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