Nicht den Events hinterherjagen!

Eine lebende Legende: Der Regisseur und Intendant Dieter Dorn wird am heutigen Samstag 80 Jahre alt
von  Ute Wessels

Dreieinhalb Jahrzehnte wirkte der Regisseur an den Kammerspielen und am Bayerischen Staatsschauspiel. Große Klassiker brachte er ebenso auf die Bühne wie zeitgenössische Werke. Sein texttreuer Regiestil ist legendär. Für die einen bedeute er Konsequenz, für die anderen Stagnation. Am heutigen Samstag feiert Dieter Dorn seinen 80. Geburtstag – und bereitet sich gerade auf seine „La Traviata“-Premiere an der Staatsoper Berlin vor.

AZ: Herr Dorn, in der Theaterlandschaft ist vieles im Umbruch. Matthias Lilienthal ist neuer Intendant der Kammerspiele. An der Berliner Volksbühne wird der Museumsmann Chris Dercon übernehmen. Wie ist es Ihrer Ansicht nach um das Theater bestellt?

DIETER DORN: Theater ist auch immer ein modisches Instrument. Ich gehe nicht oft ins Theater, sondern konzentriere mich auf meine Arbeit. Wenn etwas toll ist, ist man deprimiert, weil man selbst nicht so gut ist. Und wenn etwas schlecht ist, würde man am liebsten den Beruf wechseln. Bei den Intendantenbesetzungen ist es ja so – ob nun Lilienthal oder Dercon –, dass es immer mehr in Richtung Eventtheater geht. Die gemeinsame Arbeit mit einem festen Ensemble über längere Zeit ist ja nur noch die Ausnahme.

Fehlen Ihnen heute im Theater die Werktreue und der Respekt vor dem Autor?

Theater hat ja ursprünglich die Tendenz zu bewahren, die Sprache zu bewahren, aktuelle Themen an eine Geschichte zu binden. Ein Autor hat eine Vision, eine Weltsicht. Und es ist die Aufgabe des Theaters, dieser nachzuspüren, Widersprüche zu entdecken – und das nicht mit den eigenen Obsessionen, sondern mit denen des Autors. Man darf die Figuren nicht verraten. All das wird heute nur noch wenig gesehen.

Inwiefern?

Die Sprache wird nicht gehütet, sondern zurechtgeschnitten und gestutzt. Man fleddert den Autor, nimmt nur das, was man für aktuell hält. Das soll aber keine Klage eines alten Opas sein, dass früher alles besser war. Sondern es ist der Versuch, eine aktuelle Tendenz zu sehen. Das Theater müsste sich wieder auf sich selbst besinnen und nicht den Events und den Medien hinterherlaufen.

Die aktuelle Tendenz im Theater, von der Sie sprechen, kann ja nur so lange funktionieren, so lange das Publikum ins Theater geht.

Viele Menschen haben kein Bewusstsein dafür, sie nehmen das einfach hin. Die mittlere und ältere Generation macht sich zwar so ihre Gedanken, die Theater zielen heute aber auf die Jungen ab. Aber man muss ja nicht das, was sie den ganzen Tag schon im Internet und Handy sehen, noch überbieten wollen. Theater muss nicht oberflächlich unterhalten. Dafür gibt es ja das Fernsehen.

Ist das Theater also in Gefahr?

Das Theater ist nicht unterzukriegen, es wird sich immer wieder aufrappeln. Ob das System des Stadttheaters zu halten sein wird, weiß ich nicht.

Sie inszenieren in Berlin „La traviata“. Heißt das, dass Sie sich nun auf Ihre zweite Leidenschaft konzentrieren – die Oper?

Die Oper ist schwieriger, aber wenn sie gelingt, ist sie dem Schauspiel überlegen. Durch die Musik hat sie eine andere Wirkung als das Schauspiel. Es ist mühsam und schwierig, sich mit der Partitur und gegen die Partitur zu bewegen. Oper ist fragil, braucht Zeit und verdient Subvention. Die Geldgeber erwarten aber einen schnellen Erfolg und einen großen Namen – was der macht, ist egal, denn nach zwei Jahren kommt ein Neuer. Es braucht mehr Mut, denen, die Oper machen, Zeit zu lassen.

Was bedeutet Ihnen die 80?

Nichts. So lange ich arbeiten kann, ist es in Ordnung. Und es macht Spaß, wenn Leute überrascht sagen: Was, so alt bist du schon? Der Beruf hört mit dem Alter ja nicht auf. Gute Schauspieler werden mit dem Alter noch besser. Es ist ein Privileg, sich in diesem schwierigen Beruf ein Leben lang ernähren zu können, ohne einen Kompromiss machen zu müssen. Ich musste nie Kompromisse machen. 

 

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