Neuinszenierung "Lohengrin": Elsas Verpeiltheit

Generationen von Opernbesuchern haben sich gefragt, warum Elsa eigentlich so naiv ist, ihre Erzfeindin Ortrud im zweiten Akt in die Burg zu bitten und zur Teilnahme am Hochzeitszug einzuladen, obwohl der nachfolgende Ärger absehbar ist. Die Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper liefert dafür eine ultimative Antwort: Sie hat während einer Party-Pause auf dem Balkon einen Joint geraucht. Und Kiffen macht offenkundig sentimental.
Kornél Mundruczó konzentriert Wagners romantische Oper "Lohengrin" ganz auf Elsa. Ihre Gegner haben sie seelisch und sozial mit dem schlimmsten Vorwurf ruiniert, den es gegenwärtig geben kann: Sie hat ein Kind - ihren Bruder - auf dem Gewissen. Die Anklage macht die Unschuldige unglaublich aggressiv: Mehrere Männer sind erforderlich, um sie im ersten Akt vor Gericht zu zerren.
Betonung der extremen Verpeiltheit der Figur
Johanni van Oostrum verweigert als Elsa das Frauenbild des 19. (und 20.) Jahrhunderts: Sie spielt nicht das übliche, innig singende und still trauernde Opferlamm. Die Sopranistin betont die extreme Verpeiltheit der Figur. Ihr klare und helle Stimme steht für einen zweiten Aspekt der Figur: das naive Zutrauen und die blinde Begeisterung, in das ihr seelischer Schaden jederzeit umschlagen kann. Und diese Doppelbödigkeit kann man nur faszinierend nennen.
Ähnlich zwingend gelingt Mundruczós Inszenierung die Psychologie des Paars Ortrud und Telramund. Anja Kampe kann als Sopranistin mit noch immer frischer Stimme auch musikalisch den Hohn gestalten, mit dem sie im zweiten Akt ihren Mann abfertigt. Johan Reuters geradlinig heller Bariton mag für die Rolle nicht ganz ideal sein. Aber er singt sowohl vom Material wie von der Gestaltung ansprechender wie anderes derzeit sehr gefragte Vertreter dieser Rolle im Fränkischen und anderswo.
Klaus Florian Vogt: Eine gewisse Patina auf seinem Silber unüberhörbar
Im Vorfeld irritierte das seltsam unambitionierte Engagement der Titelrolle. Klaus Florian Vogt sieht - wieder mal - gut aus und und spielt den Lohengrin mit den bekannten Gesten. Weil die Inszenierung offenbar auf eine gewisse Austauschbarkeit des Retters abzielt, der bei seinem (schwanenlosen) Auftritt einfach da ist und sich von den übrigen Herren kaum unterscheidet, wirkt die Besetzung letztendlich auf einer höheren Ebene zwingend.
Die Gralserzählung gelingt Vogt sehr schön, andernorts ist eine gewisse Patina auf seinem Silber unüberhörbar. Zu den problematischen wie den herausragenden Qualitäten seiner instrumental geführten Stimme ist in den vergangenen 20 Jahren seiner Karriere alles gesagt worden: Das muss hier nicht wiederholt werden.
Mika Kares ist der kraftvollste König Heinrich seit langem. Er meistert auch die exponierten Stellen mit Leichtigkeit. Andrè Schuen darf man eine Luxusbesetzung für den Heerrufer nennen. Der Chef und sein Assistent bilden dazu ein ziemlich amüsantes Duo in der Führung dieser seltsamen Therapie- oder Sektengesellschaft, die hier die Bühne des Nationaltheaters bevölkert.
Manches sehr gegen die Musik inszeniert
Manches hat Mundruczó sehr gegen die Musik inszeniert: etwa den langen Auftritt der Hochzeitsgäste am Beginn des zweiten Akts. Der an das Nürnberger Christkind angelehnte Rauschgoldengelbrautlook mag ebenso irritieren wie das Hochzeitsgemach, in dem das Paar im Widerspruch zum Text nicht alleingelassen wird und in dem von Anfang an klar ist, dass Lohengrin und und die weiß eingecremte Elsa nicht zusammenkommen werden (Ausstattung: Monika Pormale, Anna Axer Fijalkowska).
Aber solche Rätsel und symbolisch aufgeladenen Bildwirkungen besitzen im Theater einen Reiz - zumindest für fortgeschrittene Besucher. Den Chorszenen bekommt die Ironisierung nationaler Gesten und ihre Verkleinerung ins Privat-Psychologische erstaunlich gut. Der Schluss ist düster-katastrophal: Gottfried bleibt als letzter Mensch in einer verwüsteten Welt zurück.
Auch wenn die Inszenierung in den Einzelmomenten womöglich stärker ist als in der Gesamtschau: Es hat schon weniger runde Inszenierungen dieser schwer fassbaren Oper gegeben. Besonders der oft so statische zweite Akt überzeugt, und sei es durch die überraschende Pointe einer lange ungetrunken bleibenden Weinflasche.
Der neue "Lohengrin" kommt szenisch und musikalisch ohne Routine-Minuten aus
Dass der Dirigent François-Xavier Roth geburtsortbedingt mit französischer Musik in Verbindung gebracht wird, könnte falsche Erwartungen wecken: Besonders sensuell und fein tönt es nicht gerade aus dem Orchestergraben. Das Bayerische Staatsorchester spielt im Zweifel laut, kraftvoll und kernig. Dass am Premierenabend der Beginn des Vorspiels aus der Klang-Fasson geriet, mag sich in den Folgevorstellungen einrenken. Die bisweilen mit gesteigertem Schalldruck erzeugte Transparenz war trotzdem erstaunlich.
Roth machte auch nicht den Fehler, das deutsche Getöse dieser Oper mit Diskretion zu behandeln: In der Zwischenmusik des dritten Akts lässt er die Trompeten aus allen Richtungen schmettern wie zuletzt nur Christian Thielemann bei den Salzburger Osterfestspielen. Ob die Basstuba wirklich so schicksalhaft röhren muss wie in "Boris Godunow", darüber mag man ebenso streiten wie über den Gotteskampf mit Flex-Einsatz.
Entscheidend ist aber eines: Der neue "Lohengrin" kommt szenisch und musikalisch ohne Routine-Minuten aus. Roth und Mundruczó lassen ihren Wagner nie vor sich hinplätschern. Wer sich bewusst entscheidet, macht womöglich zwar Fehler, aber die sind interessanter als die eine oder andere glatte Nummer-Sicher-Aufführung der letzten Jahre im Nationaltheater und anderswo in der großen weiten Wagner-Welt. Dass es den ganz harten Fans dieses Komponisten womöglich weniger gefallen mag, darf man ebenso aushalten wie die überlangen Pausen dieser Neuproduktion.
Wieder am 7., 11., 14., 17. und 21. Dezember (nur teure Restkarten) sowie am 16. und 19. Juli, Nationaltheater. Ein Mitschnitt der Premiere ist bis Anfang Januar auf staatsoper.tv