Interview

Neues Solo von Sigi Zimmerschied: Lug, Trug und die Liebe

Sigi Zimmerschieds neues Solo dreht sich um einen Fälscher, dem der Beruf versaut wird.
von  Thomas Becker
Der Kabarettist Sigi Zimmerschied.
Der Kabarettist Sigi Zimmerschied. © imago/HRSchulz

Seit Donnerstag spielt Sigi Zimmerschied im Lustspielhaus "Dopplerleben - eine Fälscher Saga". Der Kabarettist, der im Oktober seinen 70. Geburtstag feiert, überrascht sein Publikum wieder einmal mit einem fulminanten Ein-Mann-Theaterstück.

AZ: Herr Zimmerschied, wie nervös sind Sie nach all den Jahren vor einer Premiere?
SIGI ZIMMERSCHIED: Eine Grundspannung ist da. Die kann man nicht leugnen. Die ist aber auch wichtig und ganz angenehm, weil sie die Konzentration aufrecht erhält. Ich bin nicht der große Vorpremieren-Typ, der 20-mal testen muss. Ich habe das neue Programm zweimal vorab gespielt und erfahren, dass es funktioniert, dass aufgeht, was ich mir vorgenommen habe. Ein bissl Spannung und Aufgeregtheit gehört bei einer Premiere dazu. Wichtig ist, dass sie sich mit dem ersten Schritt auf die Bühne in Kraft transformiert.

Sigi Zimmerschied und das unerschöpfliche Figurenarsenal

Das neue Programm ist Ihr 21. seit 1976 – muss denn alle zwei Jahre etwas Neues her?
Muss nicht, aber es ist etwas da, das das notwendig macht. Wenn plötzlich eine Figur da ist und mich nicht mehr loslässt, weil die einfach zwingend ist, dann kann ich nicht mehr anders, dann muss ich an der dran bleiben. Dieses Figurenarsenal in meinem Schädel ist scheinbar so unerschöpflich, dass sich immer wieder einer nach vorne drängt und sagt: "Lass mich raus!" Und das verweigere ich nicht. So hat sich dieser Rhythmus ergeben. Das Schreiben macht dann auch immer mehr Spaß, wird fiebriger, drängt immer stärker auf die Bühne. Das ist diese Rampensau in mir.

Ist im kreativen Prozess immer zunächst die Figur da?
Das hat sich über die Jahre gewandelt. Die Anfänge waren davon geprägt, dass zunächst die Form da war. Dass ich zum Beispiel ein Programm nur im Publikum spielen wollte. Oder ein Stück, das im Dunkeln anfängt: formale Ideen, zu denen sich Themen und Figuren gesellen. In letzter Zeit werden die Figuren stärker. Nachdem ich ja nicht die Aktualitäten abgrase und es mir eher um Grundsätzliches geht, ändern die sich auch nicht. Ich umkreise ein ewig gleiches Themenfeld, das sich seit Sophokles nicht geändert hat, immer aus einer neuen Perspektive. Natürlich ist es ein Unterschied, ob man die Wirklichkeit aus dem Blickwinkel eines Fälschers oder eines Bundeswehrgenerals betrachtet.

Zimmerschied: "Es gibt keine Geschichte ohne Fälschung"

Wie lange hat die Figur des Fälschers mit dem schönen Namen Doppler Sie schon bedrängt?
Nach dem Programm "Heil" 2019 gab eine lange Phase, in der ich keine Figur mehr spielen wollte, weil ich dachte, dass ich das nicht mehr steigern kann. Dann ergab es sich aber, dass man eine solche Figur auch anders gewichten kann: nicht so massiv, brachial, sondern eine erzählerische Figur. Ich bin also einen anderen Weg gegangen, und dadurch war es ganz leicht.

Zum Thema Lug und Betrug gibt es im Zeitalter von KI und Fake News ja reichlich Stoff.
Es gibt keine Geschichte ohne Fälschung. Das beklagt auch die Figur im Stück, dass der Beruf verlorengeht und versaut wird, weil sich jetzt jeder Depp schon selbst etwas zusammenfälschen kann. Parallel zu dem Informationsbombardement hat man eine Verkrustung und Verengung, die Welten werden wieder kleiner, jeder zieht sich auf seinen Unterbegriff zurück, Sekten sprießen aus dem Boden, der Irrationalismus steigt, die Sehnsucht nach geschlossenen Weltbildern wächst – was die Suche nach Wahrheit fast unmöglich macht, weil schon wieder so viele partielle Wahrheiten unterwegs sind. In diesen Wust, diesen Müllhaufen habe ich diese Figur hineingestellt.

Der dann unverhofft die Liebe in die Quere kommt!
Es passiert ihm etwas ganz Furchtbares, was für einen Fälscher der Worst case ist: Er verliebt sich in eine völlig ironiefreie, hochmoralische Klimaaktivistin. Weil ihm das so fremd ist, dass jemand das tut, was er sagt und das macht, was er denkt. Das ist für ihn so exotisch, so überragend, dass in ihm eine Sehnsucht nach Wahrheit erweckt wird, die bislang überhaupt keine Rolle für ihn gespielt hatte. Die ihn aber gleichzeitig als Fälscher indiskutabel macht. Seit er sie kennt, schafft er noch nicht mal mehr den Führerschein. In diesem Dilemma lasse ich die Figur die Welt betrachten.

"Da bist du ja nicht schizophren, sondern trizophren auf der Bühne"

Klingt spannend.
Ich bin froh über das Programm. Jetzt bin ich wieder daheim.

Wie meinen Sie das?
Ich bin wieder da verankert, wo ich beim Schreiben am liebsten bin. "Maskenball" war ein Übergangsprogramm, eine Collage – auch mal ganz schön, aber ich habe gemerkt: Das bin ich nicht. Ich bin einfach ein Erzähler, werde immer mehr zum Erzähler, es nimmt immer mehr epische Dimensionen an – da bin ich daheim. Das tut mir gut. Bei der Vorpremiere hat mich der Text überholt.

Wie geht das?
Ich dachte mir: "Du bist doch nicht schon auf Seite 40 – das kann doch nicht sein!" Überm Spielen habe ich darüber nachgedacht, was ich ausgelassen habe – ich habe aber nichts ausgelassen! Die Erzählung war einfach so zwingend, dass die Zeit so schnell vorbei war. Über das Reflektieren, was ich falsch gemacht haben könnte, habe ich mich dann wirklich verhaut, was aber keiner gemerkt hat. Das sind diese ganz eigenen, unwiederholbaren Situationen in Vorpremieren. Da bist du ja nicht schizophren, sondern trizophren auf der Bühne: als Schauspieler, als Regisseur, der sich selbst beobachtet und als Analyst, der ins Publikum schaut, um Reaktionen mitzubekommen. Ein unvergleichbarer Balanceakt.

Stress pur.
Ja, aber auch toll. Danach bin ich zu nichts fähig, brauche einen Tag Pause. Aber ich liebe diesen Prozess.


Lustspielhaus, Freitag und Samstag ausverkauft, wieder am 9., 10., 16. und 17. Februar sowie 11. und 12. April, Karten unter Telefon 54 81 81 81

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