Nach der Elbphilharmonie ist vor der Kartoffelphilharmonie

Die Elbphilharmonie in Hamburg ist eröffnet. Nachgedanken mit Blick auf das Münchner Projekt eines Neubaus hinter dem Ostbahnhof
von  Robert Braunmüller
Die Weinbergform der Elbphilharmonie: Wer, wie hier bei Jörg Widmanns „Arche“, einen Platz auf dem Balkon direkt neben dem Chor erwischt hat, könnte mit dröhnendem Kopf nach Hause gehen.
Die Weinbergform der Elbphilharmonie: Wer, wie hier bei Jörg Widmanns „Arche“, einen Platz auf dem Balkon direkt neben dem Chor erwischt hat, könnte mit dröhnendem Kopf nach Hause gehen. © dpa

Hamburg/München - Paris hat den Eiffelturm, London den Big Ben, Wien das Riesenrad. Und Hamburg seine Elbphilharmonie. Selfies vor dem Bau von Herzog & de Meuron gehören ab sofort zum Pflichtprogramm.

Auch wer statt Brahms lieber Beyoncé oder die Blasmusik hört, wird die Rolltreppe zur öffentlichen Plaza mit Blick auf den Hafen hinauffahren. Und Geiger, Pianisten und Dirigenten sind ohne Auftritt im Großen Saal kein echter Star. Vieles wird da derzeit hochgejazzt. Aber der starke Eindruck der Elbphilarmonie am Wasser und an der Spitze der ehemaligen Speicherstadt wird lange anhalten. Der Vergleich mit dem Opernhaus von Sydney liegt auf der Hand.

Ein neues Münchner Wahrzeichen wird hinter dem Ostbahnhof kaum entstehen. Der Bauplatz ist nicht besonders groß. Und der graue Durchschnitt des Münchner Bauens der letzten zehn Jahre macht auch nicht besonders hoffnungsvoll.
Aber das alles kann die Fantasie beflügeln: Im Frühsommer fällt die Entscheidung.

Die Architektur darf die Musik nicht übertönen

Am 17. und 18. Mai tagt das Preisgericht des Architekturwettbewerbs, an dem über 30 Büros teilnehmen, darunter Gehry Partners (Los Angeles), Schultes Frank (Berlin) und Herzog & de Meuron, die trotz das Hamburger Dauerstreits die Lust am Konzertsaalbau nicht verloren haben.

Den Preisrichtern um Horst Seehofer und Dieter Reiter wird die Elbphilharmonie im Nacken sitzen. Die ewige Debatte, die lange Unlust der Stadt an einer Konkurrenz für den eigenen Gasteig und das Missbehagen im restlichen Bayern an weiteren staatlichen Kulturgroßbauten in der Landeshauptstadt dürfte trotzdem verhindern, dass ganz groß in den Geldbeutel gegriffen wird.

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Aber ist das ein Schaden? Bei der Elbphilharmonie übertönt die Architektur die Musik. Der Konzertsaal in Weinbergform führt dazu, dass etwa ein Drittel der Hörer hinter dem Orchester sitzt.

Es hat zwar durchaus seinen Reiz, ins Gesicht des Dirigenten zu schauen. Wenn Anna Netrebko aber an der Rampe rund 700 Menschen den Rücken zukehrt, endet der Rausch im Weinberg mit einem Kater. Und nicht jeder Pianist wird begeistert sein, wenn der Deckel seines Instruments abgeschraubt wird.

Wegen der guten Aufführungen fährt man nicht nach Sydney

Dass die Kartoffelphilharmonie im ehemaligen Pfanni-Gelände primär für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gebaut wird, hat einen Vorteil: Die Musiker, ihr Chefdirigent Mariss Jansons und der Manager Nikolaus Pont werden im Hintergrund dafür sorgen, dass ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden und die Architektur nicht allein den Ton angibt.

Die Inszenierung ist wichtig, um auch klassikferne Schichten für diese Musik zu interessieren. Aber sie ist nicht alles. Ein Blick nach Salzburg: Dort spielen die Wiener oder Berliner Philharmoniker und die Staatskapelle Dresden in einem Saal mit dem Charme eines nordkoreanischen Parteitagsgebäudes, der nebenbei auch als Opernhaus dient. Das Publikum und die Künstler machen die Konzerte im Großen Festspielhaus zum Erlebnis, nicht der leicht angeranzte Bau aus den sechziger Jahren.

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Es mag banal klingen, aber ein Konzertsaal ist für Konzerte da. Das Wie und Was ist wichtiger als die Verpackung mit der Schleife. Das berühmte Opernhaus von Sydney ist dafür das abschreckende Beispiel: Wegen der Aufführungen ist da noch niemand hingefahren.

Hamburg wird das  nicht passieren: Ein nicht zu vernachlässigender Faktor des absehbaren Erfolgs der Elbphilharmonie ist der starke Generalintendant Christoph Lieben-Seutter. Er entwickelt Programmlinien und neue Konzertformen.

In München wird das Wort Intendant von privaten Veranstaltern als Drohung mit einer neuen öffentlich-rechtlichen Konkurrenz verstanden. Von Kunstminister Ludwig Spaenle war zuletzt zu hören, dass ein besserer Hausmeister als Geschäftsführer ausreiche.

Es braucht auch verbindende Ideen

In München wird das Wort Intendant von privaten Veranstaltern als Drohung mit einer neuen öffentlich-rechtlichen Konkurrenz verstanden. Von Kunstminister Ludwig Spaenle war zuletzt zu hören, dass ein besserer Hausmeister als Geschäftsführer ausreiche.

München hat schon jetzt bessere Orchester und ein viel reicheres Konzertleben als Hamburg. Was fehlt, ist ein Mindestmaß an Koordination. Wie zuletzt im Dezember: Da sang an einem Samstag der Chor des Bayerischen Rundfunks Mendelssohn im Prinzregententheater. Am Sonntag und Montag gastierte die Academy of St. Martin in the Fields sich um Gasteig der Symphonik des gleichen Komponisten – ohne gemeinsame Werbung, Einführungen oder die Erweiterung zu einem kleinen Mendelssohn-Festival.

Über die Folgekosten von Kulturbauten redet niemand gern. Bei einem Konzertsaal sind sie entscheidend. Der Saal am Ostbahnhof braucht einen (maßvollen) künstlerischen Etat. Und jemanden, der Ideen einbringt. Das ist weniger spektakulär wie die computergestützte Einzelanfertigung von 1100 Glasscheiben für die Fassade. Aber eine wichtige Investition, wenn man Inhalte will. Und nicht nur eine glänzende Hülle.

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