Musikalische Wampe statt historisierender Diät
Händel ist wieder da. Ein bisschen älter, seriöser und weniger flippig, läuft nicht mehr allen Londoner Pop-Moden nach, wie unter Sir Peter an der Staatsoper. Und eine musikalische Wampe hat er sich für das Gastspiel im Cuvilliéstheater auch angefressen, aber ältere Herren ziert Embonpoint.
Trotz Laute verzichtet das Orchester des Gärtnerplatztheaters bei „Semele“ auf eine historisierende Klang-Diät. Die Bässe sind wuchtig, die sahnigen Streicher lieben den höheren Fettgehalt. Da außer dem achtbaren Counter Franco Fagioli keine Barockspezialisten mitwirken, passt das gut, zumal Chefdirigent Marco Comin die Musik gefühlsbetont interpretiert und die Chöre mächtig aufdreht.
Jenseits aller Stilfragen besitzt diese Aufführung musikalisch eine hohe innere Konsequenz, obwohl dem einen oder anderen Sänger die englische Originalsprache dieses Oratoriums nicht leicht von der Zunge geht. Jennifer O’Loughlin wächst in der mordsschweren Schluss-Arie der Semele über sich hinaus, worin sich ein paar schrille Töne als Charakterfarbe durchaus passend fügen. Die übrige Besetzung um Ferdinand von Bothmer (Jupiter) und Holger Ohlmann (Cadmus) liefert eine solide Ensembleleistung mit ein paar Ecken und Kanten – nicht jedem ist eine elegante Phrasierung gegeben.
In „Semele“ erzählt Händel hochseriös von einer Affäre Jupiters mit einer jungen Dame, die sich unbedingt zur Göttin hochschlafen will. Karolin Grubers Inszenierung hat einen ganz starken Moment, wenn Semele auf Doubles ihrer Jugend, Mutterschaft und des Alters trifft. Sonst wird sie von jenem Hauch Jacques Offenbach durchweht, der sich bei Götterliebschaften unvermeidlich einstellt. Hin und wieder schweben Zitronenfalter über die Bühne, Elaine Ortiz Arandes (Iris) verwandelt sich allerliebst in ein Insekt. Und niedlich ist auch die Luftfahrt über den Münchner Frauentürmen, in denen der Gott eine Hausbar versteckt hat (Bühne: Roy Spahn).
Grubers klare und sauber gearbeitete Inszenierung verzichtet auf forcierte Übertreibungen. Sie rettet die abschweifende Somnus-Szene durch etwas Friedhofs-Gothic und einen Untoten mit Scherenhänden. In der Haupt- und Zentralszene, der Verbrennung Semeles beim Anblick von Jupiters Göttergestalt, müsste allerdings mehr passieren als eine altbackene Feuerprojektion auf das weiße Kostüm. Und eine ganz große Bitte hätten wir auch: Plastik-Donnern vom Band passt weder zu Händel noch zum Cuvilliéstheater – dafür gibt es Pauken und ältere Theatertechnologien mit mehr Charme.
Trotzdem: Es ist eine rundum gelungene Vorstellung, die dem verflossenen Händel-Stil der Staatsoper nicht nachläuft und bestens zur Qualitätsunterhaltungslinie des Gärtnerplatztheaters passt. Und falls dermaleinst das Stammhaus doch wieder öffnen sollte: Da passt Händel wegen der Intimität des Raumes ohnehin besser hinein als ins Nationaltheater. Also: bitte mehr Barock!
Gärtnerplatztheater im Cuvilliéstheater, wieder heute (Sa), 28. und 30. Oktober sowie im November, Telefon 2185 1960