Musical mit Elon Musk: Madame Nielsen über "Very Rich Angels" in den Kammerspielen

Bill Gates, Mark Zuckerberg und Elon Musk treffen sich in einer Bar und machen sich gemeinsam zum Mars auf. Das ist die Prämisse des "intergalaktischen Musicals" von Madame Nielsen. Christian Lollike inszeniert, die Performancekünstlerin, Komponistin, Roman- und Theaterautorin spielt mit.
AZ: Madame Nielsen, wie laufen die Endproben zu Ihrem Stück: Herrscht Panik, Chaos?
MADAME NIELSEN: Nein. Die Endproben sind nicht panisch, aber sie waren schon eine Zeit lang chaotisch. Jetzt haben wir eine Richtung gefunden - das ist wie bei einer Kamera, wenn alles plötzlich scharf wird. Ich denke auch, es ist wichtig, dass man in eine Krise gerät. Ich glaube an Krisen. Wenn man eine Produktion beginnt und einen Plan durchzieht, dann ist das Konzeptkunst. Im Theater ist es gut, wenn man durch Krisen geht - dann erfährt man auch etwas. Dann entsteht etwas Wahrhaftiges.
"Das politische Theater steckt in der Krise"
Ihr Stück geht auch von den Krisen unserer Zeit aus. Unser Planet ist gebeutelt vom Klimawandel, von Kriegen, weshalb der Mars als womöglich besserer Lebensort zum Ziel wird.
Mein Stück nimmt auf diese Krisen Bezug, das stimmt. Aber für mich waren vor allem diese drei Superreichen der Ausgangspunkt. Wie macht man ein Stück über Bill Gates, Mark Zuckerberg und Elon Musk? Diese Drei haben eine unglaubliche Macht, auch auf das Weltgeschehen. Elon Musik wirkte zum Beispiel mit seinem Satellitensystem Starlink auf den Verlauf des Ukraine-Kriegs ein; Gates und Zuckerberg hatten und haben großen Einfluss auf die digitale Welt. Zuckerberg hat gerade die Idee einer dreidimensionalen "Metaverse", was auch in meinem Stück eine Rolle spielt. Neben ihren kapitalistischen Interessen spenden diese drei Superreichen aber auch viel. Sie wollen die Welt retten.
Was als Anliegen ja ehrenwert klingt. In Ihrem Stück wirkt das Trio teilweise sympathisch …
Ja! Ich denke, dass das politische Theater seit zehn Jahren in einer großen Krise steckt. Wenn heute ein kapitalismuskritisches Stück gezeigt wird oder ein Stück über Putin oder über die AfD, dann sieht man auf der Bühne "die Bösen". Es gibt keinen Streit, keine wirkliche Begegnung, weil die Leute, die das Stück machen, und die Leute, die das Stück sich ansehen, letztlich eins sind. Ich habe hier an den Kammerspielen "Doping" gesehen, da ging es um einen FDP-Politiker - auf der Insel Sylt! Im Publikum sitzt aber niemand, der aus Sylt kommt, sondern Leute, die immer ins Theater gehen, so ein bisschen links, aber nicht zu viel, und sie lachen über andere, die gar nicht da sind. Das ist für mich kein politisches Theater. Wenn Theater politisch sein soll, dann muss es Teil der Demokratie sein. Und für mich ist Demokratie ein unvermittelter Konflikt zwischen Positionen, ein Streit, bei dem man direkt mit seinen Gegnern redet, ohne Masken - eine offene Auseinandersetzung zwischen Teufeln und Göttern.
"Diese Fähigkeit zum Träumen haben wir in der letzten Zeit verloren"
Bill Gates, Mark Zuckerberg und Elon Musk werden kaum in den Kammerspielen sitzen.
Nein, sie werden gar nicht erfahren, dass es dieses Stück gibt und wenn, dann wäre es ihnen völlig egal. Wir haben überhaupt keinen Einfluss auf sie! Das heißt auch: Wenn wir sie auf der Bühne als Teufel darstellen - was sie vielleicht sind -, dann ist das völlig belanglos. Deswegen dachte ich mir, okay, vielleicht müssen wir sie ganz anders zeigen, nicht affirmierend, aber dass sich ein überraschender Blick auf sie öffnet. Wir haben von Anfang an gesagt, dass das ein "melancholisch-musikalischer Abend" über diese Drei wird, was sich bereits etwas absurd anhört. Wir könnten über ihre Macht sprechen, dass es ein Machtproblem gibt, aber wir gehen in die Gegenrichtung und machen ein Stück, in dem die Superreichen schöne Lieder singen und Träume haben. Darum geht es eigentlich: ums Träumen.

Das heißt, die drei werden nicht dämonisiert, sondern als Menschen dargestellt.
Ja! Ich glaube und hoffe, dass wir sie so menschlich darstellen werden, dass sie fast naiv wirken. In der Inszenierung werden sie verdoppelt, die Schauspielenden tragen manchmal übergroße Köpfe, so dass sie zwar übermenschlich wirken, aber auf kindliche Weise. Sie sind Menschen, die träumen. Diese Fähigkeit zum Träumen haben wir in der letzten Zeit verloren, finde ich. Stattdessen haben wir die sozialen Medien und digitale Parallelwelten, die uns aber von großen Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden. Ich denke, im Theater ist das noch möglich: zu träumen. Wir wollen diese Fähigkeit, eigene Visionen zu haben, den Menschen zurückgeben. Im Grunde haben wir ein Traumspiel erschaffen, eines, das auch eine Komödie ist, weil die Menschen nun mal komisch sind.

Superreiche haben auch aberwitzige Ideen. Bill Gates träumt bei Ihnen zum Beispiel von der Erfindung eines Smart-Klos, das den Menschen ermöglicht, aus ihrem Urin und ihren Fäkalien Energie zu gewinnen. Tatsächlich entwickelt die Bill Gates Stiftung Toiletten für Entwicklungsländer…
Das ist typisch für jemand, der superreich ist. Er beobachtet ein tatsächlich existierendes Problem: dass nämlich Seuchen entstehen, wenn die Klos nicht funktionieren. Aber wenn man sich die Videos mit Bill Gates ansieht, wie er da von Toiletten spricht, dann merkt man, dass er eine wunderbare Utopie vor Augen hat, aber letztlich völlig naiv ist. Er ist mit seinem Privat-Jet sicherlich nach Afrika geflogen und hat sich die Situation vor Ort angeschaut, aber er hat dort nicht gelebt; er weiß nicht, wie es dort wirklich ist. Bei Elon Musk ist das schon etwas anders: Er ist in Südafrika aufgewachsen und hat dort sicherlich eigene Erfahrungen gemacht. Er kennt die Armut, die dort herrscht, aus erster Hand.
"Theater muss, wenn es politisch sein will, problematisch sein"
Eine weitere mächtige Figur taucht ebenfalls auf: Wladimir Putin. Er verkündet bei Ihnen, dass er letztlich das Böse abschaffen und das Gute in die Welt bringen will. Was eine starke Provokation ist…
Ja! Und ich glaube, das muss auch sein. Wenn ich hier auf die Bühne gehe und dem Publikum sage, Putin ist ein Schwein, dann rufen alle: Ja! Aber Putin ist nicht anwesend, keiner ist da. Wir haben dann nur wieder diese Feedbackschleife zwischen Bühne und Publikum. So wird das Theater in Europa zu einer amerikanischen Predigerkirche mit 200 Mitgliedern: Praise the lord! Putin is bad! In dem Monolog, den er bei uns spricht, sagt er aber einige Wahrheiten, so dass man im Publikum vielleicht kurz sagt: "Moment, er hat ja recht! Diese drei Superreichen haben kaum oder keine Erfahrung, Putin aber hat sich aus dem Nichts herausgekämpft, er und die Sowjetunion haben schwierige Zeiten erlebt."
Klingt zwiespältig.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es herrscht kein Zweifel, dass es völlig pervers ist, dass Menschen so reich und machtvoll werden können wie diese Superreichen. Und Putin ist furchtbar. Aber wenn man für einen Moment Mitgefühl mit ihm bekommt, wird es spannend - und problematisch. Theater muss, wenn es politisch sein will, problematisch sein. Es muss die Seele der Zuschauenden aufwühlen. Nur so kommt das Denken in Bewegung.
Kammerspiele, Premiere am 7. Juni, 20 Uhr. Karten und 233 966 00. Am 9. Juni stellt Madame Nielsen um 18 Uhr ihren Roman "Mein Leben unter den Großen" im Literaturhaus vor.