München: Zoff im Volkstheater wegen CSU-Angriff auf Intendant Matthias Lilienthal
München - Die Verlängerung des Vertrags eines langjährigen Intendanten ist eigentlich nur ein Ritual, bei dem sich alle Beteiligten ein bisschen loben.
Im Volkstheater kam es jetzt anders. Der ursprünglich angekündigte Kulturbürgermeister Josef Schmid erschien nicht. Christian Stückl unterschrieb trotzdem, und dann setzte Hans-Georg Küppers zu einer sehr deutlichen Erklärung an. Der städtische Kulturreferent nutzte die Gelegenheit, seine Intendanten Christian Stückl (Volkstheater) und Matthias Lilienthal (Kammerspiele) dafür zu loben, dass sie im Namen ihrer Theater für die #Ausgehetzt-Demo am Sonntag unterstützen: "Ich halte das in einer demokratischen Gesellschaft nicht nur für legitim, sondern auch für geboten – vor allem angesichts des Verfalls der politischen Streitkultur, der verbalen Verrohung in der öffentlichen Diskussion und der populistischen Meinungsmache."
Küppers verlas außerdem die per Smartphone mitgeteilte Begründung für die Abwesenheit des Kulturbürgermeisters: Schmid ärgere sich über die "Abschmelzung bei der der politischen Neutralitätspflicht" städtischer Eigenbetriebe: "Die politischen Neutralitätspflicht der Verwaltung ist ein maßgeblicher Grundsatz unserer demokratischen Grundordnung" so Schmid. "Dieses Gebot der politischen Neutralität haben die Kammerspiele als Erstunterzeichner des Aufrufs und das Volkstheater hinsichtlich der Demonstration gegen die CSU am kommenden Sonntag verletzt".
Zoff im Volkstheater: Schmid geht es ums Prinzip
Mitarbeiter der Stadt sind laut "Allgemeiner Geschäftsanweisung" zu politischer Neutralität verpflichtet. Parteipolitische Aktivitäten müssen von dienstlichen Belangen getrennt werden. "Jeder kann als Privatperson seine Meinung frei äußern und an Demonstrationen teilnehmen", betont der Kulturbürgermeister Schmid. Dies gelte "für Herrn Lilienthal ebenso wie für Herrn Stückl wie den Herrn Steer" vom Deutschen Theater.
Die Demo #ausgehetzt richtet sich auch gegen die aktuelle Asylpolitik der CSU. Auf den Ankündigungen sind die schwarzen Köpfe von Seehofer, Söder und Dobrindt abgebildet. Organisiert wird die Demonstration von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis von über 130 Gruppen, aber auch von den Gewerkschaften und Parteien wie der SPD, Grüne, ÖDP und Mut. Schmidt geht es weniger um die politische Differenz als um das Prinzip: "Wie verhält sich die Landeshauptstadt München zukünftig, wenn beispielsweise eine Werkleitung zu einer AfD-Demo gehen will?"
Dieser Widerspruch ist nicht von der Hand zu weisen: Schmidt hat Ende Juni den Co-Geschäftsführer des Deutschen Theaters gerügt, der auf Twitter den Fußballern Özil und Gündogan empfohlen hatte, nach Anatolien abzuhauen und für ihren "türkischen Hitler" zu spielen. Werner Steer aber twitterte seine Pöbeleien mehr oder weniger privat vor dem Publikum von unter 20 Followern, Lilienthal und Stückl dagegen positionieren sich öffentlich. Konsequenzen sieht die Geschäftsanweisung der Stadt allerdings nicht vor – insofern ist die Empörung vor allem Sommertheater und Landtagswahlkampf.
Weil die Kritik am sehr populären Volkstheater-Chef und Oberammergauer Passionsspielchef Stückl womöglich auch bei CSU-Wählern weniger gut ankommt, schießt sich die CSU lieber auf Matthias Lilienthal von den Kammerspielen ein. Richard Quaas, der sich mit gemeinsam seiner Frau stark für die Integration von Flüchtlingen einsetzt, spricht in einer von ihm verbreiteten Mitteilung davon, dass "vielleicht sogar zu Recht" gegen Seehofer & Co demonstriert werde.
Aber auch ihn stört, dass der "im andauernden Berliner linken Theaterchaos sozialisierte Kammerspielchef" nicht als Privatperson, sondern im Namen des Theaters spreche und nun von der "Münchner SPD und den üblichen Volksfront-Verbündeten" verteidigt werde. "Er ist ein besserer Politkommissar, der glaubt mit Berliner Schnoddrigkeit die Münchner beglücken zu müssen", so Quaas weiter.
Zoff im Volkstheater: Küppers antwortet mit ironischem Zitat
Lilienthal betont, dass die Erstunterzeichnung des Demonstrationsaufrufs nicht seine "solistische Entscheidung" war, sondern eine der Leitung des Theaters insgesamt. Er stehe auch dafür ein, dass sich die Kammerspiele als Institution gegen die Verschärfung der Asylgesetze und gegen Rechtspopulismus einträten. Im Übrigen habe er von vielen gehört, dass eine Reihe von CSU-Mitgliedern mit dem Anliegen von #ausgehetzt sympathisiere, dies angesichts des Landtagswahlkampfs nur nicht öffentlich zugeben wollten.
Dass daran etwas Wahres ist, drängt sich auf, wenn man vertraulich mit liberalen CSU-Stadträten über die Angelegenheit spricht. Auch Fraktionschef Manuel Pretzl betont, es gehe ihm nicht um Zensur, sondern ausschließlich um die Neutralitätspflicht städtischer Institutionen.
Küppers, im Volkstheater auf diese juristische Seite angesprochen, antwortete mit dem bekannt ironischen Lenin-Zitat, demzufolge deutsche Revolutionäre vor der Besetzung eines Bahnhofs eine Bahnsteigkarte lösen. "Position zu beziehen war und ist Teil unseres kulturellen Auftrags", so der Kulturreferent. "Und wir werden uns all denen – auch Politikern – entgegenstellen, die sich in munterer Kaltblütigkeit, mit populistischer Stimmungsmache und voll eitler Selbstgerechtigkeit von demokratischen, kulturellen und moralischen Grundwerten unserer Gesellschaft verabschieden."
Die Grünen sprechen bei der Geisteshaltung der CSU von einem "Rückfall in die Ära Strauß". "Ein Stadttheater muss sich sogar in die Stadtpolitik einmischen", so Matthias Weinzierl (Bellevue di Monaco) und fügt hinzu: "Wenn der Gegner reagiert und so trommelt, haben wir etwas richtig gemacht."
Solidaritätserkläung des Residenztheaters:
"Dass ich mich einmal gezwungen sehen würde, für meine Münchner Kollegen Matthias Lilienthal und Christian Stückl eine Solidaritätserklärung abzugeben, hätte ich noch vor ein paar Jahren nicht gedacht; es kann nicht sein, dass den Kollegen 'dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen' drohen, weil sie eine Demonstration unterstützen, die u. a. die Werte unserer demokratischen Grundordnung stärken möchte. In den letzten Monaten habe ich insbesondere auf den politischen Druck aufmerksam gemacht, dem Theaterschaffende in Polen oder Ungarn ausgesetzt sind. Doch auch die politischen Debatten in Deutschland haben sich spürbar verändert. Die Demonstration '#ausgehetzt' am 22. Juli finde ich wichtig, sie richtet sich meiner Ansicht nach nicht pauschal gegen die CSU, sondern gegen eine verantwortungslose Politik der Spaltung – gegen diesen dummen Wahlkampf-Populismus und die ideologische Verzerrung des Christlichen, den die CSU in ihrem Namen führt. Damit wird der humanistische, tolerante, barmherzige und mitmenschliche Aspekt durch eine deutliche Ausgrenzung ersetzt – mit ‚Kultur‘ hat das meines Erachtens wenig zu tun und Kulturschaffende sollten sich ungestraft dazu verhalten dürfen."
Martin Ku(s)ej, 18.Juli 2018