Monteverdi: Nackte im Welttheaterwirbel

Salzburger Festspiele: „L‘Incoronazione di Poppea“ von Claudio Monteverdi in der Regie von Jan Lauwers, musikalisch geleitet von William Christie
So ungefähr müssen die mythischen Sirenen geklungen haben, denen man nur zuhören konnte, wenn man sich fesseln ließ, um sich vor ihrer Verführung zu schützen. Wenn Kate Lindsey den Mund öffnet, schmeichelt sich ein betörender Mezzosopran ins Ohr, der mit seinem überirdischen Hauchen die Sinne schier vernebelt.
Kaiser Nero ist ein Frau, liebt eine Frau und macht auch mal Männer an
Dass die Amerikanerin den gänzlich moralfreien römischen Kaiser Nerone wie selbstverständlich als Frau singt und spielt, fällt bei diesem belcantistischen Verwirrspiel gar nicht mehr ins Gewicht. Vielleicht hat seine Geliebte, Sonya Yoncheva als Poppea, ihn so in ihrem Bann, dass er sich ihr willig annähert: unter Hervorkehrung seiner Weiblichkeit. Dazu passt auch, dass Nerone zwischendurch auch einmal einen männlichen Höfling anschmachtet. Die zementierten Geschlechterrollen werden von grenzenloser erotischer Begierde aufgeweicht.
Spätrömische Dekadenz mitten im Kaiserreich
In diesem dekadenten Rom, wie es sich der regieführende Multikünstler Jan Lauwers im Salzburger Haus für Mozart herbeiphantasiert, dreht sich alles um die Libido. Das kann man wörtlich nehmen. Denn das zentrale Element dieser Neu-Inszenierung der „Krönung der Poppea“ von Claudio Monteverdi ist ein unablässig um die eigene Achse kreisender Derwisch, eine Tänzerin oder ein Tänzer, gleichsam der Motor aller Geschehnisse. Stillstand herrscht im zeitlosen Bühnenbild nie. Selbst der deformierte Kronleuchter, der von der Decke baumelt wie ein Gehenkter, ist ständig in Bewegung. Immer, wenn man beginnt, sich um die Gesundheit des Derwisches zu sorgen („Drehwurm“), wird er oder sie diskret abgelöst. Dann geht das Wirbeln weiter.
Der Selbstmord des Seneca wird mitgetanzt
Der Belgier Lauwers, der auch für Bühne und Choreographie verantwortlich ist, arbeitet vornehmlich mit dem Medium Tanz. Die Sänger werden stets von den quirligen, in ihrer malerischen Halbnacktheit wiederum eher geschlechtsneutralen jungen Mädchen und Männern des „Bodhi Projects“ und der „Salzburg Experimental Academy of Dance“ verdoppelt. Im Prolog sind das drei Kriegsversehrte auf Krücken. Den Selbstmord des kritischen Philosophen Seneca, den Renato Dolcini intelligent, wenn auch in der Tiefe leicht matt, deklamiert, vollziehen gleich mehrere Tänzer blutig mit. Sonya Yoncheva, in deren Poppea schon die dramatische Glut der Verdi- und Puccini-Rollen mitschwingt, auf die sie sich mittlerweile konzentriert, wird vor der Krönung von den Körpern in ein hinreißend schönes lebendiges Tableau eingefasst wie ein Juwel.
Es gibt auch Lücken der Inszenierung
Das klingende Spiegelbild der ewig kreiselnden Derwische ist das Ensemble „Les Arts Florissants“, bestückt mit 16 Instrumentalisten, die sich, in zwei gleich große Gruppe aufgeteilt, bei der Begleitung abwechseln oder raffiniert miteinander verzahnen. William Christie, der die Aufführung unaufdringlich vom Cembalo aus leitet, kreiert ein spannungsvolles musikalisches Fließen, das sich von der Bühne nicht in den Hintergrund drängen lässt und kleinere Lücken der Inszenierung verlässlich auffüllt.
„A Dio Roma“ - fantastisch gestammelt
Denn so kurzweilig die Produktion sich auch von ihrer Optik her präsentiert, ist sie doch in letzter Konsequenz nicht hundertprozentig ausgeglichen. Zeitweise werden die bildhaften Doubletten zu viel, zumal im ersten Teil. Von den virtuosen Koloraturen des Countertenors Carlo Vistoli als Ottone lenken die Live-Übertragungen vom lustigen Model-Leben im Bühnenhintergrund eher ab. Doch kurz bevor sie anfangen, richtig zu nerven, verschwinden die Monitore auch schon wieder.
Dass dem zweiten Teil der Produktion dann ein wenig die Ideen ausgehen, stört nicht weiter. Es ist ohnehin faszinierender, Stéphanie d‘Oustrac dabei zuzuhören, wie sie als frisch gebackene Ex-Kaiserin Ottavia fassungslos ihren Abschied „A Dio Roma“ stammelt. Und der unvergleichliche Dominique Visse, der die Figur der Amme schon vor 20 Jahren in der Münchner Produktion gegeben hatte, braucht keine Inszenierung: Er ist sie selbst.
Überflüssige Buhs für die Inszenierung von Jan Lauwers
Beim Schlussapplaus erntet die Regie zahlreiche Buh-Rufe, die nicht gerechtfertigt sind. Wirklich seltsam ist jedoch, dass es angesichts der vielen köstlichen Rollenportraits während der Aufführung zu keinerlei spontanen Publikumsreaktionen kommt. Ist es an diesem spätsommerlichen Abend einfach noch zu heiß oder sind die Zuschauer von den Derwischen tatsächlich so nachhaltig irritiert? Unvorstellbar ist nämlich, dass dieses barocke Welttheater in einer solchen reizvollen Modernisierung die heutigen Hörer nicht mehr anzurühren vermag.
Weitere Aufführungen, Haus für Mozart: 15. August (15 Uhr), 18./20./22./28. August (18.30 Uhr), Karten: +43 662 8045 500 und info@salzburgfestival.at.
Mitschnitt: 18. August, 19.30 Uhr, ORF Hörfunk. Video: 20. August, 18.30 Uhr auf www.medici.tv und www.myfidelio.at