Mit Unsinn zugemüllt: Kritik zur "Zauberflöte" als Musical in München
Man kann Shakespeare ändern, wenn man Shakespeare ändern kann", sagte Bertolt Brecht etwas kryptisch. Was der Augsburger Stückeschreiber kann, können wir auch, dachten sich der Komponist Frank Nimsgern und der Musical-Macher Benjamin Sahler (Text und Regie): Sie verpassten der eigentlich unverwüstlichen "Zauberflöte" ein Update zum Musical. Was überrascht, gilt Mozarts Oper doch unter Theaterleuten wegen seiner Mischung aus ernster und populärer Musik als erstes und letztendlich auch unverbesserbares Werk dieses Genres – vor seiner Erfindung.
Die gute alte "Zauberflöte" beginnt nach der Ouvertüre mit Tempo und einem Knalleffekt: der Verfolgungsjagd zwischen einer Schlange und einem Prinzen samt dessen wunderbarer Errettung. Im Deutschen Theater kündet Mozarts dreimaliger Akkord vom Auftritt der deutschen Musical-Legende Anna Maria Kaufmann. Sie gibt eine esoterisch angehauchte Märchentante, die vom Streit zwischen Sarastro und der Königin der Nacht berichtet.
"Die Zauberflöte" im Deutschen Theater: Den "Kleinen Prinzen" verschluckt
Die Königin (Katja Berg) singt eine rockige Nummer, dann erst erscheinen Prinz und Schlange. Das mangelnde Gefühl für Tempo und Dramaturgie bleibt der Basso continuo der Aufführung.

Im Zweifel hat Mozart für jede Szene die bessere Lösung. Die in der Oper spritzig gesungene Eifersucht der Drei Damen ist bei Sahler eine öde Sprechszene: Die für Mozart selbstverständliche Kunst eines musikalischen Ensembles hat sich nicht bis zu den Musicalkomponisten herumgesprochen, die höchstens ein Duett riskieren.
Der erste Akt nimmt mehr oder weniger den bekannten Verlauf, nur zäher. Mit einer Ausnahme: Der aus dem Weisheitstempel tretende Sprecher lässt sich von Papagena (Stefanie Gröning) vertreten. Ein gelungener Plot-Twist, der noch besser wäre, wenn die Künftige des Vogelfängers nicht schwafeln würde, als hätte sie den "Kleinen Prinzen" verschluckt.
Frank Nimsgern, Benjamin Sahler haben zu viel Respekt vor der Mozart-Oper
Bei Sarastros Auftritt wird eine rote Fahne geschwenkt, als würde gleich Che Guevara erscheinen. Der Mächtige erinnert jedoch eher an den ennuyierten Prinzen Orlofsky aus der "Fledermaus". Popkulturell Gepräge dürfen an den Grandmaster aus den Marvel-Filmen denken. Eine Papierfigur erster Güte bleibt dieser neu zusammengebastelte Sarastro in jedem Fall. Zuletzt stellt sich heraus, dass er einen Beziehungskrieg mit der Königin der Nacht führt – eine Idee, die schon Ingmar Bergman hatte, als er 1975 Mozarts Oper verfilmte.
Sahler und Nimsgern haben viel zu großen Respekt vor der "Zauberflöte". Von Mozart ist jenseits einiger Anspielungen nur die geschickt in ein Duett verwandelte Arie der Königin der Nacht geblieben. Die übrige Musik bewegt sich mit Balladen und rockigen Nummern etwa auf dem Niveau aktueller deutscher ESC-Kandidaturen. Das ist nicht schlecht, aber ein Hit, der sich nachsummen ließe wie zwei oder drei Nummern von Mozart, ist nicht dabei.

Statt die Ungereimtheiten des Urtexts von Emanuel Schikaneder zu entrümpeln oder – wie in Goethes Fortsetzung oder in Elton Johns "Aida" – mit den Figuren eine neue Geschichte zu erzählen, hat Sahler die Handlung mit weiterem Unsinn zugemüllt: Monostatos (Chris Murray) kultiviert weniger sexuelle, sondern primär politische Gelüste im Stil eines "Star Wars"-Bösewichts. Der Erzschwätzer Sarastro (Christian Schöne) redet noch größeren Unsinn als bei Schikaneder – und das durchgehend in maximaler Brüll-Lautstärke. Nach der Feuer- und Wasserprobe verlangt er eine weitere, vor der Märchentante umständlich angekündigte dritte Prüfung, ehe endlich Love, Peace und Eierkuchen triumphieren.
Nervige Vogelfutterwitze
In ihrer Selbstverliebtheit entging den Machern, dass im zweiten Akt zwei fast identische Szenen zwischen Pamina und der Königin aufeinanderfolgen. Alles, was bei Mozart nach Problem schmeckt (wie die abgewendeten Suizide), haben die Macher hinausgekehrt. Wieso der Vogelfänger am Ende bis Drei zählt, dürften daher nur Kenner des Orginals verstehen.
Frauen sind in diesem Musical auf eine bestürzend altbackene Weise blondbezopft (Pamina), hysterisch (Königin) oder – mit Lederkorsage – in Maßen verrucht (Papagena). Tamino (Patrick Stanke) hat die Ausstrahlung eines städtischen Beamten. Außerdem wäre ihm dringend ein Wechsel seines Hosenschneiders anzuraten.
Den Drei Damen gönnten die Autoren am falschen Ort eine - zugegebenerweise hübsche - Nummer aus Filmtitel-Zitaten. Papageno (Tim Wilhelm) plappert viel mit seinem Sidekick, einem schwulen Kakadu (Mario Mariano), der mit Vogelfutterwitzen nervt und am Ende mit einem Tukan entschwindet.

Eine musikalische Entsprechung zu "Der Vogelfänger bin ich ja" oder "Ein Mädchen oder Weibchen" ist Nimsgern nicht eingefallen. Humor ist seine Sache nicht. Und so bringt das fast durchgängige Dauer-Pathos den Stoff aus jener Balance zwischen Ernst und Heiterkeit, die Mozart und Schikaneder so meisterhaft beherrschten.
"Die Zauberflöte" zeigt in München die Misere des deutschen Musicals
Der Premierenbeifall bei dieser Uraufführung war heftig – was angesichts der hohen Dichte geladener Gäste wenig aussagt. Wer die "Zauberflöte" kennt, wird sich beim Besuch nach des Deutschen Theaters nach der temporeichen Aufführung des Gärtnerplatztheaters sehnen. Und wer sie nicht kennt, wird sich fragen, wieso Nimsgern seine handwerklich solide Musik auf ein derart ödes Märchen verschwendet hat.
Und so zeigt der Abend die ganze Misere des deutschen Musicals: die Feigheit vor der Gegenwart. Nimsgern und Sahler schielen neidisch in Richtung Oper. Sie wanzen sich an die sogenannte Hochkultur heran, statt zu machen, was die Stärke des Genres ist: aktuelle Popmusik mit einem zeitgenössischen Stoff zu verbinden, der ein gegenwärtiges Publikum anspricht.
Deutsches Theater, bis 21. April, Karten online und unter Telefon 55 234 444