Mit "Speere Stein Klavier" gegen alte, tote Nazis

Die Bühne: ein mit Holz vertäfelter Partykeller der alten Bundesrepublik mit veralteter Unterhaltungselektronik. Im Hintergrund: ein großer Papagei aus Porzellan. In Archivschachteln lagern – laut Aufschrift – überwiegend Objekte der Jahre 1933 bis 1945. Der historisch bewanderte Alpinist erkennt, dass der Bühnenhintergrund den Untersbergblick vom Berghof am Obersalzberg darbietet.
Genoël von Lichtensterns Musiktheater „Speere Stein Klavier“ arbeitet sich an der kulturellen Kontinuität zwischen der Nazi-Zeit und den Nachkriegsjahren ab. Wie bei einer Auktion wird im Carl- Orff-Saal des Gasteig Objekt für Objekt aufgerufen. Wie’s weitergeht, entscheiden Gerd Lohmeyer, Samantha Gaul, Kerstin Descher und Georg Fersel mit Hilfe des titelgebendes Spiels Schere, Stein, Papier.
Lesen Sie auch das Interview mit Daniel Ott und Manos Tsangaris
Im Fernseher läuft ein Ausschnitt aus Karl Ritters Propagandafilm „Stukas“ mit Georg Thomalla. Der nachmalige Zappel-Komiker ist anschließend in einem Sexfilm von 1968 zu sehen. Man erfährt, dass Joseph Wackerle nicht nur bunte Papageien für den Botanischen Garten geschaffen hat, sondern nach 1933 auch diverse Reichsadler. Außerdem werden die Maße der am Gasteig einer Gema-Größe gedenkenden Trompete mit jenen der Gedenktafel für den gescheiterten Hitler-Attentäter Georg Elser am gleichen Ort verglichen.
Lesen Sie auch unseren Bericht über Birgitta Muntendorfs "Für immer ganz oben"
Nach einiger Kurzweil verbeißt sich Lichtenstern in die berühmt-berüchtigten Fälle Werner Egk und Carl Orff. Zu Lebzeiten dieser Herrn hätte das wegen einstweiliger Verfügungen unangenehm werden können. In der Gegenwart des Jahres 2016 ist das ziemlich wohlfeil. Der Künstler konnte dank der hinreichenden Aufarbeitung ihrer Biografien durch Musikwissenschaftler und Historiker in seinem Sessel bleiben und musste nicht mal in einem Archiv recherchieren.
Lesen Sie auch: Eine Performance im Einstein
Die knapp zweistündige, von Christian Grammel inszenierte Aufführung gleicht in vielem einem Marthaler-Abend. Schrullige Figuren machen Slapstick, elektronisches Tröten strukturiert die Aufführung, die meiste Musik sind Fundstücke wie Egks „Marsch der deutschen Jugend“. Lichtenstern steuert ein Chorstück bei, das Erinnerungen von Orff etwas billig mit Richard Wagners „Judentum in der Musik“ zusammenbringt. Am Ende gibt es doch noch eine Überraschung: Auch der Komponist der Tagesschau-Fanfare war Mitglied der NSDAP.
Die Augsburger Philharmoniker und Charakterköpfe des dortigen Opernchors agieren bewunderswürdig. Aber sie ändern auch nichts dran, dass das Kopieren von Marthaler-Abenden in der Regel scheitert, wie man bei früheren Biennalen schon öfter erleben konnte. Und es ist viel bequemer, sich an alten toten Nazis abzuarbeiten, als sich mit den neuen zu beschäftigen.
Erinnerungen ans Tröpferlbad
Ähnlich vergangenheitstrunken gab sich am gleichen Abend „Gaach – quasi eine Volksoper“. Das von Volkshochschulgruppen erarbeitete Werk schwelgte in Erinnerungen an die große Zeit der sozialdemokratischen Kulturpartizipationsprojekte und die gute alte Zeit, als es in Haidhausen noch das alte Tröpferlbad und sieben Kinos gab. Gegenwart trat tröpferlweise in Gestalt von Migranten und hohen Mietpreisen in Erscheinung, Zukunftsvisionen fehlten.
In den Gasteig-Foyers spielte die Philharmoniker-Blasmusik zum Volkstanz auf. Gedichte wurden vorgetragen, ein paar Schnipsel Neue Musik aufgeführt. Alle, die mitmachen durften, werden noch ihren Enkeln davon erzählen. Für das aus Düsseldorf und der Schweiz stammende Führungsduo der Biennale mag es unglaublich aufregend gewesen sein, die Herkunft des Namens Gasteig und die Straßennamen in der Umgebung erklärt zu bekommen. Wir Einheimischen erfuhren wenig Neues.
„Speere Stein Klavier“ noch einmal am 8.6., 20 Uhr im Carl-Orff-Saal sowie am 6. und 13. Juli im Theater Augsburg, Brechtbühne