Mit Parsifal durchs wilde Kurdistan

Musikalisch dank Hartmut Haenchen großartig, szenisch ein Desaster: Der neue Bayreuther „Parsifal“
von  Robert Braunmüller
Klingsor (Gerd Grochowski) und seine Kreuz-Sammlung
Klingsor (Gerd Grochowski) und seine Kreuz-Sammlung © Bayreuther Festspiele

Der Dirigent reißt es heraus. Hartmut Haenchen eilt der Ruf voraus, ein ausgezeichneter Kapellmeister zu sein. Der 73-jährige Dresdner hat eine große Wagner-Erfahrung. Er hat den „Ring“ in Amsterdam dirigiert und als Erster das Notenmaterial der neuen Wagner-Gesamtausgabe benutzt. Sogar Bücher hat er geschrieben. Aber die ganz großen Häuser und Festivals blieben ihm immer verschlossen.

Nach seinem Bayreuth-Debüt als Einspringer für den geflüchteten Andris Nelsons fragt mach sich: Warum nur? Das Festspielorchester klingt farbig, intensiv und deutlich. Probleme mit der schwierigen Akustik gibt es keine. Haenchen hat auch eine Interpretations-Idee, die in jedem Takt zu hören ist: Nur keine falsche Weihe! Aber er versachlicht die Musik nicht, sondern verwandelt sie in ein brodelndes Drama. Trotz rascher, fast drängender Tempi geht kaum ein Detail verloren. Die Trauermusik und die Chöre im dritten Aufzug hat schon lange niemand mehr so wild, finster und bedrohlich gesteigert.

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Wackler gibt es natürlich auch. Aber die sind bei so wenigen Proben kein Beinbruch. Auch die Besetzung des neuen „Parsifal“ ist umwerfend. Georg Zeppenfeld hat einen unglaublich machtvollen, schönen, schwarzen und schlanken Bass. Er singt sehr textverständlich: der beste Gurnemanz seit Kurt Moll. Und noch nie gab es einen Parsifal, dem der schlichte, „reine Tor“ bereits am Timbre anzuhören war. Klaus Florian Vogt hat auch nach den „Amfortas!“-Rufen noch Reserven. Dass er nicht der subtilste Gestalter ist, wiegt er als schöner Mann mühelos auf.

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Die Kundry ist wieder mit einer Hochdramatischen besetzt und nicht mit einem Mezzo. Das leuchtet kaum ein. Elena Pankratova schleudert ihre Flüche machtvoll in den Saal. Die lange, liedhafte Herzeleide-Erzählung wird verflackert. Aber sie ist eine intensive, wandlungsfähige Darstellerin: Wie Elena Pankratova im dritten Aufzug gealtert und mit zitternder Hand manisch-stumm den Kühlschrank des Gurnemanz putzt, hinterlässt einen viel stärkeren Eindruck als der dunkel glühende Kraftgesang des Amfortas (Ryan McKinny). Obwohl auch diese Rolle heuer besser besetzt ist als in den letzten Jahren.

Leiden am Monotheismus

Dem ehemaligen Kölner Opernchef Uwe Eric Laufenberg hat der rheinische Katholizismus aufs Gemüt geschlagen. Der leidende Amfortas ist als Ersatz-Jesus selbst der Gral: Die Gralsritter zapfen ihrem König das Blut ab und trinken es. Titurel ist am Schluss wie Dracula zu Staub zerfallen. Gott schaut aus der Kuppel herunter. Er ist tot oder eine Puppe.

Der erste Aufzug spielt in einem Zisterzienserkloster irgendwo im wilden Kurdistan hinter Euphrat und Tigris. Das lässt sich so exakt sagen, weil der Zuschauer zur Verwandlungsmusik per Video die Gottesperspektive einnehmen darf und mal schnell ins Universum hochgebeamt wird.

Im zweiten Aufzug sucht Klingsor mit einem Gebetsteppich die Richtung nach Mekka. Die Blumenmädchen legen ihre Burkas ab und baden mit Parsifal, der im Kampfanzug hereinstürmt. Ein Hauch von James Bond macht sich breit. Das ist die ganze Islamkritik der Inszenierung, die Sicherheitsexperten in Alarmbereitschaft versetzte und zur polizeilichen Abriegelung des Grünen Hügels führte.

Zusammengelesen

Die Inszenierung legt es eher darauf an, den Katholizismus zum hundertsten Mal als Neurose zu entlarven. Der Kreuze-Sammler Klingsor (auch eins mit Dildo hat er) geißelt sich zur Triebabfuhr, während sich Kundry von einem Herrn in Weiß befriedigen lässt. Ist das nun Amfortas oder ein Wunschbild von Parsifal? Egal.

Wenn beim Karfreitagszauber das Wort „Träne“ fällt, tanzen nackte Blumenmädchen im Regen. Und eine Hippie-Familie sitzt herum. Zur Trauerfeier für Titurel erscheinen Vertreter der monotheistischen Weltreligionen und entsorgen ihren Kram im Sarg des Toten. Weniger Gott, mehr Mensch. So einfach stellt sich das Theater die Welt vor.

Laufenberg hat zusammengekehrt, was jedem halbwegs aufgeklärten Wagnerianer zu „Parsifal“ als kritischer Brosamen unter den Tisch fällt. Das Bühnengeschehen als Stadttheater zu rügen, wäre eine Beleidigung dieser deutschen Kulturanstalt. Niemand fühlte sich provoziert, alle waren begeistert. Das Festspielorchester erschien beim Applaus in kurzen Hosen. Haenchen zog sich schnell einen Frack über. Dieser Mann ist nicht nur ein guter Dirigent. Er hat auch Stil.

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