Interview

Miroslav Srnka im Interview: Irrungen, Wirrungen im Weltraum

Miroslav Srnka über seine Oper "Singularity", die am Samstag im Cuvilliés-Theater uraufgeführt wird.
Michael Bastian Weiß |
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Juliana Zara, Eliza Boom und Andrew Hamilton in "Singularity"
Juliana Zara, Eliza Boom und Andrew Hamilton in "Singularity" © Wilfried Hösl

München - Eine Weltraum-Oper für junge Stimmen" heißt im Untertitel die Oper "Singularity", die der tschechische Komponist Miroslav Srnka als Auftragswerk der Bayerischen Staatsoper für deren Opernstudio schrieb. Das Libretto verfasste der australische Dramatiker Tom Holloway. Am 5. Juni wird das Stück in englischer Sprache im Cuvilliés-Theater uraufgeführt.

AZ: Das erste Wort, das in "Singularity" gesprochen wird, ist das berüchtigte F-Wort. Fürchten Sie nicht, dass die Oper zum Beispiel in Amerika keine Jugendfreigabe erhält?
MIROSLAV SRNKA: Das ist doch die Welt der Jugendlichen! Wir können ihnen als Gesellschaft diese Sprache nicht verbieten. Ich habe keine Angst, dass das Stück wegen des Textes nicht gespielt wird. Unsere Aufgabe ist es nicht, darüber nachzudenken, ob und für wen etwas erlaubt ist.

"Wir lassen offen, wann die Handlung genau passiert"

Das Libretto ist zumindest beim ersten Lesen nicht leicht zu verstehen. Können Sie die Ausgangssituation der Handlung beschreiben?
Tom Holloway und ich versuchen, uns eine Zukunft auszudenken, wie das bei Science Fiction immer der Fall ist. Und wie bei diesem Genre geht es auch uns darum, gleichzeitig gewisse Aspekte der heutigen Zeit herauszudestillieren, aufzuzeigen und dabei fortzuspinnen, welche Konsequenzen es geben könnte, wenn die heutigen Entwicklungen anhalten. In der zukünftigen Welt, in der "Singularity" stattfindet, sind die Menschen durch Implantate, die in den Körper gepflanzt werden, direkt miteinander verbunden. Sie brauchen also keine Handys mehr, um miteinander zu kommunizieren.

Wie weit entfernt ist die Zukunft, in der das Stück spielt, ungefähr?
Wir lassen offen, wann die Handlung genau passiert. Aber der amerikanische Erfinder und Autor Ray Kurzweil, der für uns sogar einen Essay geschrieben hat, behandelt solche Ideen bereits heute. Uns hat interessiert: Wie könnte sich unsere Kommunikation dadurch verändern, dass wir uns immer mehr darauf einlassen, mit vorgefertigten, begrenzten Formaten zu kommunizieren, wie etwa bei Twitter, wo man akzeptiert, dass man nur eine bestimmte Anzahl von Zeichen benutzen kann. Welche Auswirkungen hat das auf unser Verhalten, unsere Beziehungen zueinander? In unserem Stück haben alle Menschen Computerchips im Gehirn, mit denen sie allein durch Gedanken Sprachnachrichten aufnehmen und anderen Menschen senden können, ohne dafür noch ein technisches Gerät zu benötigen.

Gab es ähnliche Kommunikationsmedien nicht schon in vergangenen Epochen? Zum Beispiel Briefe und Telefone?
Ja, aber trotzdem ist die Situation in unserem Stück eine ganz andere. Es gab zwar immer schon Briefe, aber in ihnen wurde formell, über Codes, kommuniziert. Und was in Telefongesprächen gesagt wurde, ist ja nicht erhalten geblieben. Schon beim heutigen Chatten antworten wir direkt aufeinander, und das Geschriebene kann man abspeichern und dadurch konservieren. So gesehen ist dieses vorher nicht dagewesene Format für die Linguisten höchst interessant, auch für zukünftige, weil sie studieren können, wie sich Sprache und Kommunikationsverhalten durch die Technik verändert haben.

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In "Singularity" können die handelnden Figuren also gegenseitig ihre Gedanken hören, quasi telepathisch?
Nein, nicht ihre Gedanken, nur ihre Sprachnachrichten. Deswegen hat jede der Figuren zwei Stimmen, eine reale und eine digitale, die von jeweils zwei verschiedenen Sängern gesungen werden. Dadurch eröffnen sich natürlich sehr interessante Möglichkeiten für die musikalische Ebene. So gibt es zwei Temporalitäten, wobei die digitale Zeitebene von der realen dadurch unterschieden ist, dass eine vorproduzierte Aufnahme immer wieder angehört und auch verändert werden kann. Der Hörer kann die beiden Ebenen meist deutlich voneinander unterscheiden, aber nicht immer, weil es ja gerade auch darum geht, wie diese beiden Formen der Kommunikation miteinander verschmelzen können. Tom Holloway und mich interessierte dabei am meisten, dass diese Nachrichten nicht individuell verfasst sein müssen, sondern wie Textbausteine vorkategorisiert sind. Zum Beispiel gibt es ungefähr sechs verschiedene Antwort- und Reaktionsmöglichkeiten wie Freude, Bedauern oder Gleichgültigkeit. Die Figuren hören diese vorgefertigten musikalischen Nachrichten nicht etwa elektronisch verzerrt oder verfremdet. Schon heute hat ja in diesem Bereich eine gewisse Anthropomorphisierung eingesetzt. Die Stimmen werden immer menschenähnlicher.

Das klingt ein bisschen nach Emojis, nur, dass es keine bildlichen Zeichen sind, sondern sprachliche oder musikalische.
Diesen Vergleich mögen wir nicht so gerne, weil es Emojis ja heute schon gibt und die technischen Möglichkeiten in der Zukunft, in der das Stück spielt, andere sind. Die konkrete Story beginnt mit einem technischen Defekt. In der ersten Szene sehen wir einen Mann, einen Bariton, der am Computer spielt, und seine Freundin, die von einem Sopran gesungen wird. Sie möchte das Update für ihren Chip im Gehirn herunterladen, er aber nicht. Bei der Aktualisierung des Programmes tritt nun eine Art Computervirus auf, sodass die Frau zwar noch durch Gedanken Sprachnachrichten aufnehmen kann, aber nicht mehr entscheiden, was sie abschickt, an wen und zu welchem Zeitpunkt. In dieser Situation stecken natürlich viele komische Möglichkeiten. Plötzlich befinden wir uns in einem ganz anderen Raum, und es stellt sich - Achtung, Spoiler-Alarm! - nach und nach heraus, dass sich der Mann nun mit anderen Menschen im Weltall befindet, in einer Art Quarantäne. Der Grund dafür ist, dass er ein Rebell ist, zumindest jemand, der nicht immer alles brav mitmacht, was die Gesellschaft ihm an technischen Möglichkeiten vorschreibt.

 

Sollte man als Hörer alle diese Prämissen der Handlung vorher kennen?
Nein, man muss sich nicht etwa vorbereiten, ich glaube, man versteht es schon beim ersten Hören.

"Im Verlauf der Oper wird das Orchester immer eigenständiger"

Welche Rolle spielt die Musik?
Die Szenenfolge und somit die ganze Struktur des Stückes durchläuft einen Prozess, der beim Hören eigentlich auch transparent werden müsste. Das, was die Singstimmen machen, ist teilweise durch die Kommunikation der Zukunft vorgegeben: Es muss etwa eine bestimmte Textmenge innerhalb von zwei Sekunden untergebracht werden, ähnlich eben wie bei Twitter. Ich nenne das selbst musikalische Formatierungen. Die Sänger der Uraufführung machen das sehr gut, wie ich in den Proben hören konnte. Im Orchester wirkt die Musik zunächst illustrativ, aber nicht im Sinne von Programmusik, die ja keinen so guten Ruf hat, sondern auf fast auf naive Weise bildhaft. Im Verlauf der Oper wird das Orchester jedoch immer eigenständiger.

Wenn das Ganze einen Prozess beschreibt, warum sind dann laut Libretto die instrumentalen Zwischenspiele in der Reihenfolge austauschbar?
Weil sie die gleiche Temporalstruktur haben.

Im Klavierauszug fallen immer wieder tonale Akkorde auf. Woher nehmen Sie Ihre Tonhöhen?
Ich arbeite gerne mit Tonspiralen, wie ich das nenne, sozusagen diatonische Leitern, die sich übereinander verschieben und sich am Ende wieder treffen. Man hört also nicht reine tonale Akkorde, obwohl sie in den Tonspiralen enthalten sind.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit mit dem Librettisten Tom Holloway vorstellen, mit dem Sie ja nun schon zum dritten Mal zusammenarbeiten?
Am Anfang denken Tom und ich immer sehr lang und eng zusammen nach, überlegen uns Themen, probieren verschiedene Möglichkeiten aus. Das ist ein sehr komplexer und langwieriger Prozess. Irgendwann schreibt Tom dann ein ziemlich ausführliches Libretto. Dann beginnt der Teil, bei dem ich mit der Schere das Libretto kürze, was oft ziemlich grausam ist. Aber Tom hat dafür Verständnis, wenn ich Lieblingssätze von ihm herausschneiden muss. "Singularity" sollte nicht besonders kurz werden, aber auch nicht länger als 90 Minuten dauern, weil das Tempo von Sprache und Musik und damit die Informationsdichte sehr hoch sind und die Aufmerksamkeit des Zuhörers irgendwann nachlässt. Bei diesem Projekt stellte sich während des gemeinsamen Arbeitens übrigens eine surreale Situation her, weil die fiktive Quarantäne, in der sich die Figuren im Weltall befinden, durch die Corona-Pandemie auf einmal Realität wurde.


Uraufführung am 5. Juni, weitere Vorstellungen: 7./9./11./12 Juni, jeweils 19 Uhr, Karten unter Telefon 21 85-19 20 und unter www.staatstheater-tickets.bayern.de. - Am 9. Juni (19 Uhr) auch kostenfrei als Stream auf staatsoper.tv.

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