Kritik

Michel Friedman tief berührt: Katharina Bach und sein Text "Fremd" in den Kammerspielen

Überwältigende Intensität: Katrin Lindner inszeniert Friedmans Text in München.
Mathias Hejny |
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Ein Solo für Katharina Bach, die in "Fremd" ganz allein fast ohne Requisiten spielt.
Ein Solo für Katharina Bach, die in "Fremd" ganz allein fast ohne Requisiten spielt. © Sima Dehgani

Was ist der Unterschied zwischen einem Flüchtling und einem gern gesehenen Ausländer? Die Kreditkarte." Das klingt wie ein Witz, ist aber bittere Lebenserfahrung eines Mannes, dem lebenslang mal subtil, mal schonungslos von einem "Wir" der "Anderen" bewusstgemacht wird, dass er nicht wirklich dazu gehört.

Michel Friedman ist jüdischen Glaubens, hat polnische Wurzeln, wurde in Paris geboren, kam mit den Eltern ins "Täterland", wurde mit 18 Deutscher und machte in Deutschland Karriere.

"Fremd" von Michel Friedmann in den Kammerspielen: Der Text von der Geburt bis in die 90er ist doch im Heute

Vermutlich hat Michel Friedman mehr als nur eine Kreditkarte und ist trotzdem nicht überall gerngesehen. Der heute 68-jährige Jurist, Publizist, Zeitungsherausgeber, TV-Talker und CDU-Politiker hat einen ganz und gar ungewöhnlichen biografischen und unerhört privaten Text veröffentlicht, der zwar nicht für das Theater gedacht war, aber als Hörspiel und mehrfach von Bühnen adaptiert wurde.

Michel Friedmann bei der Abschlussveranstaltung für den "Platz der Hamas-Geiseln" auf dem Bebelplatz.
Michel Friedmann bei der Abschlussveranstaltung für den "Platz der Hamas-Geiseln" auf dem Bebelplatz. © picture alliance/dpa

Mit dem reimlosen Langgedicht unter dem Titel "Fremd" erzählt er von seinem Leben zwischen der Geburt 1956 und den 1990er-Jahren, als seine Eltern starben. Geschrieben wurde der Text allerdings erst 30 Jahre später mit dem Wissen um die Renaissance von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Zu den beschämenden Befunden Friedmans gehört, dass der Faschismus nie weg war, sondern ein konstituierendes Element deutschen Wesens zu sein scheint.

Maximale Schauspielerei

"Fremd" in den Kammerspielen hatte seine Premiere am Tag der Deutschen Einheit, wenige Wochen nach den triumphalen Wahlergebnissen der AfD in drei Bundesländern und ein Jahr nach dem Überfall der Hamas auf Israel. Mehr Zeitgenossenschaft geht in einem Stadttheater kaum.

Was die Schauspielerin Katharina Bach mit der Regisseurin Katrin Lindner dann vor dem Eisernen Vorhang als Ein-Frau-Inszenierung mit minimalen Mitteln ereignen lassen, ist maximale Schauspielerei.

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Zurückgeworfen auf die Grundbestandteile des Theaters Raum, Körper, Sprache, etwas Licht und Ton entsteht ein Panorama der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Einziges Requisit ist eine große schwarze Kiste. Sie ist Podium, schwer zu handhabende Lebenslast oder der Behördenschalter, vor denen in bangen Stunden auf die Papiere gewartet werden muss, die aus den Flüchtlingen "richtige Menschen" und aus Ausländern Inländer machen. Und die Kiste ist auch der Sarg des Vaters.

Warum die Familie Friedman wie andere Opfer des "Drittens Reich" während der Sechziger-Jahre ausgerechnet nach Deutschland kamen, macht auch das Projekt von Bach und Lindner nicht klar. Aber man findet Indizien wie einen weiteren Witz des Abends: "Jüdischer Friedhof, Frankfurt am Main. Sagt ein Toter zum anderen: ‚Es gibt Hoffnung.'" Diese Hoffnung verkörperte wohl eine Gestalt wie Oskar Schindler, dem Steven Spielberg 1993 ein filmisches Denkmal setzte.

Ein Solo für Katharina Bach, die in "Fremd" ganz allein fast ohne Requisiten spielt.
Ein Solo für Katharina Bach, die in "Fremd" ganz allein fast ohne Requisiten spielt. © Sima Dehgani

Der kleine Michel begegnete ihm: "Diesen Mann, ein Lachen wie Löwengebrüll, groß wie ein Bär. Diesen Mann, der meine Familie, meine Mutter, meinen Vater, meine Großmutter gerettet hat. Diesen Mann, der anders war, der anders war als ‚die'. Der nach Deutschland zurückkehrte. Zu ‚denen'. Den ‚Anständigen'".

Michel Friedman war im Publikum

Friedman spricht von sich durchgängig als "das Kind", denn er bleibt immer der Sohn seiner geliebten Eltern. Die Augenblicke unermesslichen Glücks beim ersten Eis-Essen mit der Mutter in Paris oder dem Skilaufen mit dem Vater im Schwarzwald spielt Katharina Bach ohne jedes Pathos, sondern mit betörender Präzision und überwältigender Intensität ebenso wie auch die tiefsten Tiefen der Depression. Ausreichend Schlaftabletten hat er immer dabei, denn "man weiß ja nie".

Die schwarze Kiste ist Podium und Lebenslast und Behördenschalter: Katharina Bach im Monolog "Fremd".
Die schwarze Kiste ist Podium und Lebenslast und Behördenschalter: Katharina Bach im Monolog "Fremd". © Sima Dehgani

Barbara Mundel spürt: Das ist gelungen!

Die Produktion wurde zwar nur kurzfristig eingeschoben, ist aber ein ganz großer Theaterabend und einer der triftigeren Gründe, die Kammerspiele zu besuchen. Zu den langanhaltenden Standing Ovations am Premierenabend zeigten sich auch ein sichtlich bewegter Michel Friedman und Intendantin Barbara Mundel, der wohl bewusst war, dass da etwas Besonderes gelungen ist.

Münchner Kammerspiele, wieder am 7. Oktober, 9. November um 20 Uhr im  Schauspielhaus, Tel. 23396600

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