Interview

"Menschenfeind" am Volkstheater: Wir Heuchler

Philipp Arnold holt am Volkstheater Molières "Menschenfeind" in die Gegenwart.
von  Mathias Hejny
Molières "Menschenfeind" im Volkstheater.
Molières "Menschenfeind" im Volkstheater. © Arno Declair

München - Alceste ist maßlos in seinem Anspruch an die Moral seiner Mitmenschen. Er hasst die Lügner, Heuchler und Schmeichler, die ihn umgeben. Besonders quält ihn aber seine Liebe zur koketten Célimène, die ihn immer wieder mit anderen Männern betrügt.

"Der Menschenfeind" am Volkstheater

Er wird der Misanthrop, "Der Menschenfeind", den Molière sich mit dem 1666 im Pariser Palais Royal uraufgeführten Stück selbst auf den Leib schrieb. Als Hofkomödiant an einem absolutistischen Herrscherhaus hatte er sehr authentisches Ansichtsmaterial für eine Gesellschaft der Höflinge und Schranzen. Am Volkstheater hat die Komödie am heutigen Samstag in einer Inszenierung von Philipp Arnold Premiere.

AZ: Herr Arnold, Sie sind der neue Hausregisseur in einem ganz neuen Haus. Wie waren die ersten Monate?
Philipp Arnold: Sehr aufregend. Ich habe es als ein großes Geschenk wahrgenommen, ein neues Theater zu haben. Als ich hier im September anfing, war es noch zur Hälfte eine Baustelle, auf der wir geprobt haben. Man hat die Möglichkeit, etwas Neues zu schaffen und einen neuen Anfang zu machen. Wenn man jeden Tag hier ist, gewöhnt man sich schnell daran. Aber wenn Leute zu Besuch kommen, sind sie völlig verblüfft, dass es so etwas noch gibt. Dass ein Theater neu gebaut wird, können Viele gar nicht glauben.

Ein Wasserschaden machte Probleme

Was ist aus dem Wasserschaden geworden?
Der ist größtenteils behoben. Es gibt noch eine Podesterie auf der großen Bühne, die ausgetauscht werden muss. Das soll im Sommer geschehen. Aber wir können alles nutzen, auch wenn noch nicht alles so ist, wie es sein soll. Wir konnten rechtzeitig anfangen, aber es ist doch manches hintangestellt worden und wurde dann von den Gewerken und der Technik nachgearbeitet.

Auf der Homepage des Volkstheaters ist Ihre Vita veröffentlicht. Beim Lesen stolpert man in diesen Zeiten sofort über eine Produktion namens "I'm In Love With Vladimir Putin". Waren Sie jemals oder sind Sie noch immer verliebt in Putin?
Auf gar keine Fall. Ich habe in London Performative Kunst studiert und dort Avantgarde-Sachen und Videokunst gemacht. Eine der Performances hieß so. Das war eine Publikumsaktion zu Weihnachten, bei der die Zuschauerinnen und Zuschauer Bilder malten, die ich an den Kreml schicken wollte. Ich weiß aber nicht, ob sie jemals dort angekommen sind. Es ging darum, mit Kunst Stellung zu Putin nehmen.

Das ist allerdings schon einige Zeit her.
Es war aber bereits zu einer Zeit, als Minderheitenrechte in Russland eingeschränkt wurden und wir haben das ganz Große im Kleinen gesucht.

Eine Vorliebe für Übersetzungen von Jürgen Gosch

Noch im alten Haus inszenierten Sie "Macbeth" mit einer Übersetzung von Jürgen Gosch, der jetzt auch beim "Menschenfeind" die Spielvorlage liefert. Was macht ihn so interessant für Sie?
Man kann das sehr gut sprechen. Beide Übersetzungen sind sehr unterschiedlich, ermöglichen aber eine sehr heutige Sprechweise. Gosch hat sie selbst inszeniert und ich nehme an, dass er das während der Proben entwickelt hat. Man kann dem Text gut folgen, was besonders bei Klassiker-Übersetzungen wichtig ist. Bei Shakespeare konnte man damit spielen und umstellen, aber bei Molière steht ein ganz anderes Gedankenkonstrukt dahinter. Alles in dieser Sprache ist ganz eng ineinander verzahnt. Das ist toll und trägt den Abend. Aber man muss das bedienen.

Ihre Mitbewerber vom Residenztheater haben zur Zeit auch ein Molière-Stück im Programm, und es sieht fast aus wie bei Molière. Wie sieht er bei Ihnen aus?
Nicht wie bei Molière. Wir ziehen es in etwas Zeitloses hinein. Molière wurde im Januar 400, aber ganz besonders bei diesem Stück ist, dass man sich immer hinein lesen kann. Er hat Charaktere geschaffen, in denen man sich auch heute noch wirklich erkennen kann.

Was finden Sie an Heutigem in einer Barock-Komödie?
So, wie die Figuren miteinander umgehen, ist das wahnsinnig heutig. Sie hören sich nicht richtig zu, sie machen Bilder von sich, denken immer, sie wissen, was der andere sagen will, und glauben, die andere Person zu kennen. Vor allem Alceste will eine Instanz für alles sein und alles maßregeln. Sowohl in ihm als auch in den anderen Figuren erkenne ich mich wieder. Was mich daran reizt, ist der Umgang miteinander. Wer darf denn was sagen und wer was nicht? Das Stück beschreibt keinen gesellschaftlichen Prozess, wie wir es bei "Macbeth" hatten, sondern das Stück geht weiter und bildet eine menschliche Natur ab, die wir immer noch haben.

Volkstheater, Premiere am heutigen Samstag, nächste Vorstellungen 3., 9., 16., 23. Mai, 19.30 Uhr, Karten unter Telefon  0895234655

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