"Medea" von Euripides mit Julia Richter
Die Königstochter vom Schwarzen Meer hat Konjunktur. Zeitgleich mit München hatte „Medea“ Premiere im thüringischen Meiningen, wo der Stoff aus Bearbeitungen verschiedener Epochen montiert wurde und die populärste Kindsmörderin der Weltliteratur in einem griechischen Flüchtlingszelt haust. Ein paar Tage früher musste Medea in Franz Grillparzers Fassung und Anna Badoras Inszenierung am Wiener Volkstheater Walzer tanzen. Was das Rachedrama zur Zeit so interessant macht: Sie ist eine Asylantin.
Euripides beschrieb das Problem mit den Fremden schon vor zweieinhalb Tausend Jahren. Die griechische Hochkultur trifft auf eine „Barbarin“ aus dem vorderen Asien. Trotz der Willkommenskultur des korinthischen Königshauses nimmt die Geschichte ihren schlimmstmöglichen Verlauf. Medea hatte sich in den thessalischen Prinzen Jason verliebt und ihm geholfen, das kostbare Goldene Vlies zu rauben. Sie mussten aus Medeas Heimat Kolchis fliehen und fanden Aufnahme bei König Kreon.
Als Jason aber die Gelegenheit bekommt, Kreons Tochter zu heiraten, wendet er sich von Medea ab. Ihrem folgenden Rachefeldzug fallen nicht nur Kreon und Jasons Braut zum Opfer, sondern sie tötet auch die beiden Kinder, die sie mit Jason hat. Bei Euripides verflucht Jason die Mörderin am Ende. Doch für seine Inszenierung am Münchner Volkstheater fand der Hausregisseur Abdullah Kenan Karaca einen anderen Schluss: Ein schluchzender Jason (Moritz Kienemann) wirft sich in Medeas Arme und weint im verlöschenden Licht.
Keine Kurzschlüsse
Der Jammerlappen-Jason hatte schon zuvor mit seinem Lederjacken-Machismo für hämisches Gelächter im Publikum gesorgt. An ihm wird deutlich, warum Medea eine feministische Galionsfigur geworden ist. Medea erklärt die Heirat zum „übelsten aller Übel“, denn mit ihr „müssen wir mit einer große Mitgift den Gatten geradezu kaufen. Dann gehört ihm der Leib.“ Dem Argument, dass Männer als Krieger immerhin ihr Leben aufs Spiel setzen, hält sie entgegen: „Lieber drei Mal in den Krieg ziehen als ein Mal gebären!“
So erzählt Karaca vor allem die Folgen einer katastrophal gescheiterten Beziehung. Allen naheliegenden Versuchungen, den Mythos mit der aktuellen Flüchtlingsdebatte kurz zu schließen, hat er erfolgreich widerstanden. Statt dessen richtete Bühnenbildner Vincent Mesnaritsch einen Raum ein, der mehr ein Zustand ist als ein Ort. Kränklich fahles Licht fällt hier auf die Insassin, die mal vor sich hin dämmert, mal rasend ist. Mit seinem großen, halbtransparenten Fenster und den Plastiksitzen hat der Raum eine alptraumhafte Gleichzeitigkeit von Verhörraum, Gefängniszelle, Isolierzimmer und Wartesaal.
Die große mythische Sage von Jason und Medea wird zum intensiven Kammerspiel. Von Anfang an zeigt Karaca seine Protagonistin im fortgeschrittenen Zustand: Sie hört Stimmen, und wenn sie auf die Wände trommelt, entstehen psychedelische Töne. Mitunter ist es allzu üppig ausgemalter Wahnsinn, mit dem die erst 25-jährige Julia Richter ihre Medea ausstattet. Aber wie sie ihren Körper in Spannung versetzen kann, mit aufwändiger Mimik und blonder Mähne ihren Satz „Ich bin eine Löwin“ beglaubigt, lässt vermuten, dass am Volkstheater ein Talent reift.
Münchner Volkstheater, 1., 6., 16. Dezember, 4., 5. Januar, 19.30 Uhr, Telefon 52 34 656
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