Mathias Lilienthal verlängert nicht

Noch am Sonntag schnupperte er Andechser Lebensgefühl. Matthias Lilienthal war Gast der Premiere von Josef Bierbichlers Film "Zwei Herren im Anzug", eine freie Filmadaption seines Romans "Mittelreich", von dem gleich zwei dramatisierte Versionen an den Münchner Kammerspielen laufen - eine mit farbigen Schauspielern. Lilienthal wirkte in seinem typischen schlabberigen T-Shirt-Look zwischen seinen Schauspielern, die ebenfalls Gäste der Premiere waren, ziemlich entspannt.
Aus Stadtrats-Kreisen war gestern zu hören, dass Lilienthal für eine Verlängerung seines Vertrags als Intendant der Kammerspiele nicht zur Verfügung steht. Derzeit läuft die dritte Spielzeit seines bis 2020 gültigen Vertrags. Es ist theaterüblich, dass zu diesem Zeitpunkt beide Seiten darüber nachdenken, ob die Zusammenarbeit weitergeführt wird oder ob man getrennte Wege geht.
Lilienthal sagt, bisher sei mit ihm über eine Verlängerung nicht verhandelt worden. Eine weitere Stellungnahme lehnt er ab. Auch das Kulturreferat wollte sich nicht zu den Gerüchten äußern.
Alles spricht allerdings dafür, dass das Gerücht zutrifft. Bei der letzten Spielzeit-Pressekonferenz wurde gar keine Auslastung bekannt gegeben. Sie lag bei 63 Prozent, zehn Prozent niedriger als im Vorjahr. Nun wird niemand eine Quote bei Kunst fordern wollen, aber derart geringe Besucherzahlen sprechen dafür, dass der Intendant seinen Spielplan an seiner Zielgruppe vorbei plant.
An den Besuchern vorbei
"Ich habe auch lieber ein volles Haus als ein halbleeres. Auch wenn das noch nichts über die Qualität dessen aussagt, was auf der Bühne geschieht", hatte Kulturreferent Han-Georg Küppers im AZ-Interview zum Saisonstart der Kammerspiele noch gesagt: "Wir haben einen Besucherrückgang, aber wir haben auch mehr Zuspruch beim jüngeren Publikum. Ich denke schon, dass die dritte Spielzeit nun eine richtungsweisende sein wird."
Offensichtlich ist es Lilienthal nicht gelungen, eine deutlicheTrendwende bei der Auslastung einzuleiten. Das Hauptproblem war von Anfang an, das in Kammer 1 umbenannte Schauspielhaus zu füllen. Schon in der zweiten Spielzeit wurden Aufführungen wie "Rocco und seine Brüder" vor teilweise halbleerem Zuschauerraum gespielt. An vielen Tagen gab es in der größten Spielstätte gar keine Vorstellungen, teilweise wurde die Leere mit Konzerten und Lesungen überbrückt. Das ist allerdings kein Rezept für die Leitung einer der größten Sprechbühnen Deutschlands.
Im November 2016 gab es erste Auflösungserscheinungen im Ensemble: Katja Bürkle, Anna Drexler und Brigitte Hobmeier kündigten an, das Ensemble verlassen würden. Kurz danach wurde die Houellebecq-Dramatisierung "Plattform/Unterwerfung" abgesagt. Beides löste eine heftige Debatte über die Ausrichtung der Kammerspiele aus, die sogar in den Stadtrat schwappte.
Die Geschichte eines Mißverständnisses
Danach schien sich die Lage nach einem ordentlichen "Kirschgarten" des Hausregisseurs Nicolas Stemann zu stabilisieren. Doch dann folgte der nächste Abgang: Stemann und der Kammerspiele-Chefdramaturg Benjamin von Blomberg kündigten an, 2019 ans Schauspielhaus in Zürich wechseln zu wollen.
Lilienthal und München – es ist die Geschichte eines doppelten Missverständnisses. Der Intendant neigte dazu, die Stadt und seine Bewohner für unbedarfte Provinzler zu halten, die zur höheren Wahrheit des performativen Theaters bekehrt werden müssten. Mit seinem politischen Kurs und dem sprichwörtlichen "Kochen mit Syrern" rannte er im linksliberalen München aber in der Regel offene Türen ein. Im September hatte der Münchner Kulturreferent Hans-Georg Küppers die Entscheidung, Matthias Lilienthal berufen zu haben, gegenüber der AZ verteidigt. Man müsse auch einmal eingefahrene Gleise verlassen könnnen: "Wenn ich ein Theater experimentell ändere, wird es immer Menschen geben, die sich nicht mitgenommen fühlen. Aber es gibt auch Menschen, die dies als Chance und Aufbruch sehen. Ich glaube, ein solches Wagnis muss eine Stadt wie München eingehen können."
Das Experiment Lilienthal ist gescheitert. Das heißt aber andererseits nun nicht, dass die vielfach verklärte Ästhetik der Ära Dieter Dorn zurückkehren wird.