Martin Kusej inszeniert Schillers "Don Karlos" - die AZ-Kritik

Der Großinquisitor kriecht wie der Leibhaftige aus dem Untergrund. Manfred Zapatka hat zum schlimmen Schluss einen kurzen, aber fulminanten Auftritt und macht klar, wer im Königreich Philipps II. wirklich die Macht hat: die katholische Kirche. Nach vier Stunden erhebt sich ein letztes leidenschaftliches Wortgefecht, das sich zwei zornige alte Männer liefern. Dann gibt der weltliche Herrscher dem religiösen Fundamentalisten nach und opfert seinen Sohn, der sich im autoritären Staat des Vaters immer fremd fühlte.
Martin Kusej inszeniert mit beeindruckender Unerbittlichkeit das Spanien des 16. Jahrhunderts, in dessen weltweitem Kolonialreich „die Sonne nie untergeht“, als eine Gegend für Lichtscheue. Bevor das „Dramatische Gedicht“ anhebt, schweben zwei Drohnen auf Kontrollflügen durch den Saal und auf der Bühne exekutieren vermummte Soldaten Gefangene. Hell wird es nie. In diesem Dunkel blühen die Intrigen und Komplotte besonders üppig. Die Schluchten zwischen Liebe, Freundschaft und Idealismus einerseits, dem kalten und auf Unterdrückung ruhende Machtkalkül andererseits bleiben unüberwindlich.
Humanistendämmerung
Dazu passend changiert die Farbpalette von Bühnenbildnerin Annette Murschetz und Kostümbildnerin Heide Kastler zwischen Schwarz und Tiefschwarz. Einziger Farbtupfer ist das intensive Blau einer schalltoten Kammer, deren spitz zulaufende Absorber sich wie Waffen gegen jeden zu richten scheinen, der diesen Raum betritt. Was Friedrich Schiller mit heißem Herzen und beseelt von den Ideen der europäischen Aufklärung für „Don Karlos“ entwarf, entzaubert Martin Kusej als Weimarer Klassik für unsere finsteren Zeiten der Humanistendämmerung.
Ein wenig mehr Licht bekommt das Ende des dritten Akts. Hier treffen die gegensätzlichen politischen Auffassungen Philipps und des Marquis von Posa unmittelbar aufeinander und kulminieren im viel zitierten Satz „Geben Sie Gedankenfreiheit!“ Schiller notierte an dieser Stelle die Regieanweisung, dass Posa das dem König „zu Füßen werfend“ zurufen solle. Bei Franz Pätzold entfährt dem Herrn Marquis stattdessen ein Laut, der ein erleichtertes „Puh!“ sein kann – endlich ist es heraus.
Eine Stimme zersägt die Dunkelheit
Überhaupt Pätzold: Die klirrend klare Wachheit und die die allgegenwärtige Dunkelheit zersägende Stimme machen Posa zur eigentlich zentralen Figur. Dabei ist das Regiekonzept nicht unbedingt schauspielerfreundlich. Kusej erwartet nicht nur, dass die Figuren häufig knapp abseits des Lichtkegels nur schwer erkennbar sind oder sogar bei völliger Dunkelheit agieren, sondern auch die Emotionalität eher homöopathisch dosieren. Eingeschüchtert vom Überwachungsstaat traut sich niemand aus sich heraus.
Manchmal blitzt bei Nils Strunk so etwas wie jungenhafter Schalk auf, wenn er um den aufrechten Gang des Infanten Don Karlos kämpft, um die Liebe zur Königin, die ihm der Vater weggeschnappt hat und um seinen Traum von einer menschlichen Welt. Ein großartiger Thomas Loibl lässt durchblicken, dass sein Philipp eine solche Welt vielleicht einfach nicht zu denken wagt, weil die Verhältnisse es nicht zulassen.
Genervtes Publikum
Die zwischen ihrer Rolle als Gemahlin des Königs und der Zuneigung zum Prinzen zerrissene Elisabeth leidet bei Lilith Häßle überwiegend in anrührender Demut und Meike Droste vollzieht als Eboli die Wandlung der zart, aber aussichtslos liebenden jungen Frau zur verbitterten Rachegöttin in aller Stille.
Die Stimmung am Premierenabend war unmissverständlich: Ein vom langen Starren in die Finsternis erschöpftes und von viel schwer lastender Stille genervtes Publikum, das sich mit der unübersichtlichen Komplexität der Handlung im Stich gelassen fühlte, spendete matten, aber freundlichen Beifall. Den Schauspielern galten die Bravos, für den Regisseur gab es einige herzliche Buh-Rufe.
Residenztheater, 27. Mai, 4., 8., 16. Juni, 18 Uhr (am 4. um 18.30 Uhr), Telefon 2185 1940