Martin Kušej über seine Inszenierung von Goethes "Faust"
Egal, wer den Brocken stemmt: Der „Faust“ ist immer ein Ereignis. Und in diesem Fall sogar Chefsache. Martin Kušej, Intendant am Residenztheater, macht sich an Johann Wolfgang von Goethe Klassiker – zum ersten Mal als Regisseur. Und es ist ja auch Zeit geworden. 30 Jahre lang hatte das Stück am Staatsschauspiel Pause. Ein Gespräch über Respekt, Rollentausch und grenzenlose Verheißung.
AZ: Sie haben lange gezögert, den „Faust“ zu inszenieren. Warum?
MARTIN KUŠEJ: Johann Wolfgang von Goethe hat ja mehr oder weniger sein ganzes Leben am „Faust“ geschrieben, die letzten Zeilen kurz vor seinem Tod. Da schadet es ja nichts, als Regisseur auch nicht gleich nach dem ersten, zweiten, dritten Lesen diesen Stoff zu inszenieren, sondern ihn immer wieder zu umkreisen, zu überprüfen, an welchem Punkt des Lebens man selbst steht und welcher Punkt am Faust einen wesentlich interessiert – und zu warten, bis man die ideale Besetzung gefunden hat. Die habe ich mit Werner Wölbern und Bibiana Beglau jetzt gefunden.
In Ihrer Spielzeit-Pressekonferenz haben Sie betont: „Ein Wissenschaftler, der noch nie Sex hatte und den Stein der Weisen sucht, kann im 21. Jahrhundert nicht die Hauptfigur sein – zumindest in meinem Faust nicht.“ Welche Figur wird denn Ihr „Faust“ sein?
Er ist einer wie wir. In unserer Textfassung finden sich auch Elemente aus „Faust II“, und schnell ergibt sich das Bild eines Mannes, der alles hat, aber unbefriedigt ist wie am ersten Tag, nicht mehr ganz jung, noch lange nicht alt, mit gelebtem Leben hinter sich und der bangen Frage: Das soll es jetzt also sein? Er kennt Sex, er kennt Drogen, er kennt Bücher, er kennt Menschen – und jagt wie wir alle weiter, auf der Suche nach dem immer neuen, nach dem immer besseren, nach dem ultimativen Kick. Stillstand erträgt er nicht. Die Grenzen, die er versucht auszuloten, müssen sich zwangsläufig immer weiter verschieben – was erreicht einen noch, was berührt einen noch in der täglichen Hypertrophie von Eindrücken und Ereignissen? Die Geduld, die Faust verflucht, haben auch wir längst verloren.
Warum ist Ihr Mephisto eine Frau?
Mephisto wird gespielt von einer Frau, das stimmt. Auf der Bühne ist unser Mephisto jedoch weit mehr und alles, Frau, Mann, Tier, gefallener Engel – auf jeden Fall nie voraussehbar und immer schön. Das Böse ist immer eine Verheißung – und wenn es von Bibiana Beglau verkörpert wird, ist die Verheißung grenzenlos.
Was bedeutet das für die Personenkonstellation zwischen Faust und seinem Teufel?
Das bedeutet zum einen, dass die Verbindung zwischen Faust und Mephisto natürlich eine erotische Tiefenspannung erlangt. Und zum anderen ergibt sich die reizvolle Konstellation, dass Faust zwischen zwei Frauen steht. Plötzlich wird ein philosophischer Schlagabtausch zum handfesten Ehekrach, und hinter Gretchens instinktiver Abneigung gegenüber dem dunklen Freund Mephisto steht auch eine ganz konkrete Ahnung von weiblicher Konkurrenz.
Die letzte „Faust“-Inszenierung am Residenztheater liegt 30 Jahre zurück. Wie kann das sein?
Das müssen Sie meine Vorgänger fragen.
Haben Sie sich die 30 Jahre alte Inszenierung oder den Dorn-„Faust“ an den Kammerspielen von 1988 bei der Vorbereitung noch einmal angesehen?
Na klar, Dorns „Faust“ habe ich gesehen. Stemanns auch. Murnaus Film hab ich auch gesehen. Und „Fack ju Göhte“. Es macht ja Spaß zu beobachten, wie dieser Stoff immer noch und immer wieder in uns allen haust und arbeitet und derart verschiedene Gesichter zeigt.
Die „Faust“-Premiere am Donnerstag im Residenztheater ist ausverkauft, wieder am 8. und 22. Juni und im Juli, Karten unter 2185 1940