Martin Kušej über "Der nackte Wahnsinn"

Mit der Komödie „Der nackte Wahnsinn“ legt der scheidende Intendant Martin Kušej seine letzte Inszenierung vor, bevor er im nächsten Jahr ans Wiener Burgtheater geht
von  Michael Stadler
Martin Kusej.
Martin Kusej. © Stephan Rumpf

Eigentlich könnte Martin Kušej gestresst wirken. Schließlich bereitet er gerade seine erste Spielzeit als Intendant am Wiener Burgtheater vor, während gleichzeitig seine letzte Saison als Chef des Bayerischen Staatsschauspiels läuft. Doch wirkt er entspannt, vielleicht auch, weil er zu guter Letzt eine Komödie inszeniert.

In „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn will eine Theatertruppe eine boulevardeske Sexfarce aufführen. Im ersten Akt versinken der Regisseur und sein Ensemble im Chaos der Endproben. Im zweiten Akt versuchen sie, einen Monat später, eine Matineevorstellung noch gut über die Bühne zu bringen, während sie sich backstage wegen privater Zwistigkeiten an die Gurgel gehen. Im dritten Akt, bei der Dernière, sind die Energien ausgelaugt, die Beziehungen arg demoliert. Aber die Show muss weiter gehen. Immer, ob in München oder in Wien.

AZ: Herr Kušej, ist die Vorbereitung Ihrer Intendanz am Burgtheater bei gleichzeitiger Vorbereitung Ihrer letzten Inszenierung am Residenztheater nicht, Pardon, der nackte Wahnsinn?
MARTIN KUŠEJ: Nein, überhaupt nicht. Ich teile meine Zeit wohlüberlegt auf: Wenn ich hier in München bin, fokussiere ich mich auf die Arbeit hier. Und wenn ich in Wien bin, konzentriere ich mich eben auf die Vorbereitung am Burgtheater. Ich habe auch in Wien bereits einige Mitarbeiter, die, wenn ich nicht anwesend bin, konzentriert weiterarbeiten. Ich merke dabei: Je näher Wien rückt, desto mehr Spaß macht es mir hier.

Wenn die Zeit kommt, sich zu lösen, weiß man das Alte erst richtig zu schätzen?
Ja, genau. Die sieben Jahre, die in München hinter mir liegen, sind mir gerade sehr präsent.

In der Wiener Tageszeitung „Der Standard“ war ein Interview zu lesen, in dem Sie auch zu dem Gerücht befragt wurden, dass Sie 40 Prozent des Burgtheater-Ensembles nicht übernehmen werden.
Diese Frage der Nicht-Verlängerungen kommt jedes Mal bei Intendantenwechseln auf. Dabei weiß jeder, dass eine neue künstlerische Leitung immer Veränderungen in einem Ensemble mit sich bringt. Natürlich kommen einige Schauspieler vom Residenztheater mit mir nach Wien, aber den Großteil des Burgtheater-Ensembles übernehme ich. Wenn von über 65 Schauspielern 20 der Vertrag nicht verlängert wird, dann sind das doch keine 40 Prozent. Ich war da extrem moderat, habe das ruhig entschieden und professionell kommuniziert. Ich habe natürlich mit jedem Ensemblemitglied ein persönliches Gespräch geführt.

Manche Ensemblemitglieder wie Nicolas Ofczarek sind dabei sowieso nicht kündbar.
Das sind aber nur wenige. In Österreich gibt es diese Unkündbarkeit mittlerweile nicht mehr. Aber klar, für ein paar Kollegen, die schon lange am Burgtheater sind, gilt diese Regelung noch.

Anfang 2018 wurde ein offener Brief von 60 Mitarbeitern der Burg publiziert, in dem das Verhalten des Ex-Chefs Matthias Hartmann heftig kritisiert wurde. Von einer „Atmosphäre der Angst und Verunsicherung“ war die Rede. Manche Zeitungen lasen den Brief auch als Signal an Sie.
Der Brief wurde damit völlig missinterpretiert. Ich habe überhaupt keinen Grund, an der Loyalität des Burgtheater-Ensembles zu zweifeln, das haben wir auch schon längst geklärt. Dieser Brief und die darin angesprochene Zeit sollten und werden mich auch nicht weiter beschäftigen. Wir haben in Wien, und zwar alle gemeinsam, ganz klar gesagt, dass wir einen Neuanfang wollen.

Aber Sie kommen an ein Haus, das in den letzten Jahren einen großen Schaden erlitten hat.
Das stimmt. Es wurde aber schon sehr viel aufgeräumt. Ich sehe mich sicherlich nicht als Tatortreiniger, sondern als künstlerischer Leiter, der die Zukunft des Burgtheaters zusammen mit seinen Mitarbeitern gestalten möchte. Die Theater müssen sich ja überall überlegen, wie sie in einer digitalisierten Welt und angesichts großer kultureller Veränderungen weiter bestehen können. Wie geht man mit den Fragen unserer Zeit auf der Bühne um, wie bekommt man den Nachwuchs ins Theater? Man kann vom Burgtheater jedenfalls nicht mehr nur von einem österreichischen Nationaltheater sprechen, das Burgtheater ist ein europäisches Haus.

In München hat die CSU zuletzt verstärkt in die Kultur eingegriffen und wollte zum Beispiel den Kammerspielen die Teilnahme an der Demonstration mit dem Motto „#ausgehetzt“ verbieten. Gibt es bei Ihnen Befürchtungen, dass Sie in Wien der Einflussnahme der FPÖ ausgesetzt sein werden?
Also, ich habe in sieben Jahren nicht den leisesten Hauch einer Einflussnahme verspürt. Wir haben immer mit den zuständigen Seiten offen kommuniziert. Und ich glaube, dass auch die CSU kapiert haben sollte, dass man sich, wenn man sich mit einem Theater anlegt, auf die Verliererstraße begibt. Die FPÖ in Österreich steht außerdem ein gewaltiges Stück weiter rechts als die CSU. Und ist der kleinere Koalitionspartner. Der für mich relevante Minister kommt aus einer anderen Partei. Ich habe immer offen meine Meinung gesagt, dadurch könnte es schon zu Konflikten kommen, aber ich gehe stark davon aus, dass ich für fünf Jahre bestellt bin, um ein Theater ohne äußeren Einfluss von Seiten der Politik zu leiten.

Im Cuvilliéstheater wurde zuletzt bei der Inszenierung von „Die Verlobung in Santo Domingo“ ironisch eine Seehofer-Maske eingesetzt. Politisch einmischen möchte sich Ihr Theater ja doch.
Ja klar. Ich weiß auch, dass ich für manche ein rotes Tuch bin. In den späten 1980ern habe ich in Kärnten unter der Regierung von Jörg Haider einige Inszenierungen geliefert, die eine Lawine von Attacken auf mich und meine Familie ausgelöst haben. Ich glaube zwar nicht, dass das heute noch so leicht ginge, aber damals war das für mich schon schockierend.

Der Reiz liegt nun doch erneut darin, etwas an der Burg auszuprobieren.
Ja, ich gehe ja nicht dorthin, um die Maske der Feigheit aufzusetzen. Feige bin ich sicherlich nicht.

Sie haben am Residenztheater zum ersten Mal einen Intendantenposten innegehabt, die Anfangszeit war schwierig. Konnten Sie hier etwas für Ihre zweite Intendanz lernen?
Ja, ich habe viel gelernt. Und ich habe mich auch verändert, was mir nicht immer gut gefällt. Ich bin doch ein sehr vehementer Diener meines Theaters, der das große Ganze hauptsächlich im Blick hat, aber doch auch jedem Einzelnen zu seinem Glück verhelfen muss. Dabei habe ich auch einige Enttäuschungen erlebt: Ich bin sicherlich nicht mehr so offen wie vor acht Jahren. Die wichtigste Lehre aber ist für mich, dass ich jetzt in Wien noch besser darauf achte, dass möglichst viele Leute in einer flachen Hierarchie ihrer Arbeit selbstbestimmt nachgehen können. Ich muss mich nicht überall mit einmischen, das kostet auch viel zu viel Energie. Im Lauf meiner Intendanz am Residenztheater habe ich zwei Hüftoperationen, zwei Graue-Star-Operationen und eine Rückenmarks-Operation erlebt. Meine Gesundheit weiter wegen des Jobs zu riskieren – das mache ich bestimmt nicht mehr.

So eine Inszenierung wie „Der nackte Wahnsinn“ nehmen Sie wohl mit an die Burg?
Die Premiere kommt ja erst noch. Lassen Sie uns abwarten – nicht, dass es schief geht …

Das kann man kaum glauben. Dieses Schiff lässt sich doch nicht versenken.
Haben Sie eine Ahnung – ich habe schon einige gesehen, die dieses Stück versenkt haben. Trotzdem wird es überall gespielt. In der Schule meines Sohnes, der gerade Abitur gemacht hat, führte ein Theaterkurs dieses Stück auf. Jetzt denke ich mir in den Proben: Wie kann eine Schultheatertruppe dieses komplexe Stück halbwegs auf die Bühne bringen? Großartige Regiekonzepte kann man dazu nicht entwickeln.

Lässt sich an dem Text etwas ändern?
Was das angeht, bin ich im Briefwechsel mit dem Autor Michael Frayn. Ich wollte das Stück auf jeden Fall aus der englischen Provinz nach Bayern verlagern und den Figuren deutsche Namen geben. Dadurch ergeben sich für uns pointiertere Aussagen, ein höherer Wiedererkennungswert.

Wie auf der Webseite schon zu lesen ist, tragen die Darsteller ihre echten Namen. Und Norman Hacker, der den Regisseur spielt, heißt Martin K.
Ja, aber sie spielen trotzdem Kunstfiguren. Norman Hacker ist auch nicht mit mir gleichzusetzen, das geht schon allein physisch nicht. Aber ich merke schon, und zwar mit Vergnügen, dass er versucht, bestimmte Verhaltensweisen und Sätze einzubauen, die er von mir kennt. Manchmal muss ich da lachen, manchmal zucke ich zusammen. Ich selbst sehe mich nicht so kontrovers, aber mit den Vorstellungen, die manche von mir haben, lässt sich mit der Figur dieses Regisseurs schon spielen.

Das Stück liest sich als kleinteilige Choreographie. Wie gingen Sie in den Proben vor?
Pro Akt mussten wir mindestens zwei Wochen harte, nervenaufreibende Textarbeit einkalkulieren. Ich habe die Schauspieler auch bewusst immer wieder alleine gelassen, weil das Stück nur durch freies gemeinsames Ausprobieren zu fassen ist. Bei diesem Prozess stand ich erstmal im Weg. Meine Zeit kam nach diesen ersten Versuchen, als es um den Rhythmus und die Dynamik der Situationen ging.

Eines Ihrer bevorzugten ästhetischen Mittel ist die Schwarzblende: Licht aus, Licht an und die Figuren stehen da wie ins Leben hineingeworfen. Dieses Stück ist eine Klipp-Klapp-Komödie: Tür auf, Tür zu.
Ich arbeite relativ nah am Text: Tür auf, Tür zu muss sein. Dieses Stück kann man nicht dekonstruieren, sondern man muss erstmal zeigen, dass man seinen Anforderungen, diesem Tempo gewachsen ist.

Das Ziel ist aber schon, eine Leichtigkeit zu erreichen und das Publikum zum Lachen zu bringen.
Ja, auf jeden Fall. Und das Lachen ist ein sehr seltener Vogel. Wenn auch nur eine Kleinigkeit im Timing nicht stimmt, passiert rein gar nichts. Sobald ich selbst bei den Proben nicht mehr lache, muss ich gemeinsam mit den Schauspielern an den Schräubchen drehen, damit das Timing wieder stimmt.

Aber je länger Sie das Stück sehen, desto weniger lachen Sie doch.
Das sagen ja auch die Schauspieler immer: Sie müssen ihre Gags am Leben erhalten, und ihr größter Feind ist der Regisseur. Dem ist nämlich schnell fad.

Das Stück handelt vom ständigen Kampf gegen das Chaos. War das eine Motivation für Sie, Regisseur zu werden: um wenigstens in einem Bereich des Lebens für sich eine Ordnung zu finden?
Für meine Berufswahl war das weniger entscheidend. Aber es gibt bei mir dieses innere Bedürfnis, eine Art von Instinkt, die Dinge zu einer Perfektion zu bringen. Wenn alle Komponenten vollkommen ineinander greifen, dann erzeugt das in mir ein Gefühl, wie es vielleicht ein Surfer kennt, der mit seinem Surfboard auf der Welle anfängt zu gleiten. Wenn dieses Gleiten beginnt und alles Tölpelhafte, Amateurhafte abhebt zu etwas ganzheitlich Gutem – das ist wirklich ein tolles Gefühl.

Man könnte dieses Gefühl als Glück bezeichnen.
Ja, das könnte man als Glück bezeichnen. 

Premiere heute, Freitag, 19. Oktober, 19.30 Uhr, ausverkauft

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