Marek Janowski dirigiert "Siegfried" und die "Götterdämmerung"

Bayreuth: Der „Ring“ unter Marek Janowski rundet sich mit „Siegfried“ und der „Götterdämmerung“
von  Christa Sigg
Walhall ist Wall Street - sagte einst Wagners Enkel Wieland. In Frank Castorfs „Ring“ steht die New Yorker Börse auf der Bühne. Die Rheintöchter lümmeln im Mercedes, im Vordergrund Brünnhilde (Catherine Foster).
Walhall ist Wall Street - sagte einst Wagners Enkel Wieland. In Frank Castorfs „Ring“ steht die New Yorker Börse auf der Bühne. Die Rheintöchter lümmeln im Mercedes, im Vordergrund Brünnhilde (Catherine Foster). © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath/dpa

Die Würstlbrater hatten sauber zu tun. Fünf Minuten sind auf dem Grill eine Ewigkeit. Doch die war der Dirigent Marek Janowski noch mal schneller, als auf dem Besetzungszettel als Aufführungsdauer angegeben war.
Damit rauschte der erste Aufzug der „Götterdämmerung“ mit knapp einer Stunde fünfzig über die Festspielbühne. Der 77-jährige Graben-Neuling Janowski kam Otmar Suitners 1.47-Bayreuth-Rekord aus dem Jahr 1966 gefährlich nahe.
Jeden sitzgepeinigten Wagner-Gänger mag das von Herzen erfreuen, nur blieb bei dieser Turbo-Tour zu viel auf der Strecke. Dafür gab’s am Ende des „Rings“ dann auch ein paar böse Buhs.

Man fragt sich sowieso, welches musikalische Konzept hinter dieser Rallye steht. Die Sänger starren wie ängstliche Karnickel auf den Mann am Pult. Die Musiker vermutlich auch, denn vorhersehbar ist leidlich wenig. Manchmal gerät der Pulk urplötzlich ins Stocken und Straucheln, und oft genug eilt Janowski mit seinen – verdutzten? – Leuten dem Bühnenpersonal davon.

Dabei gibt es kein Orchester, das Wagner besser drauf hat, alle werkeln sie freiwillig unterm Schalldeckel, können auf jeden dezenten Wink eines Dirigenten reagieren. Aber nun? Wackelt das hochkarätige Blech im Trauermarsch, kiekst das Holz und verwischen die Arpeggien. Gleichwohl sorgen immer wieder und vor allem im „Siegfried“ hinreißende Streicherströme für positive Überraschungen.

Schade, dass Janowski so gar keine Lust hat, zwischendurch innezuhalten, einen schönen Moment auszukosten, den Sängern Raum zu geben. So müssen sich die fabelhaft höhensichere Catherine Foster als Brünnhilde und ihr angestrengter Drachentöter Stefan Vinke (am schönsten in den lyrischen Phasen) mächtig ins Zeug legen, um am Ende des „Siegfried“ ein bisschen Liebeszauber auf den zugemüllten Walkürenfelsen (Bühne: Aleksandar Deni(´c)) zu bringen. Nebenan auf dem Berliner Alexanderplatz ist es mit der Zweisamkeit endgültig vorbei.

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Es hört ja kaum noch jemand zu, wenn die Tierschau beginnt und alle am Zählen sind. Stimmt, die Echsen haben auch in diesem Sommer Nachwuchs: Kroko Nummer fünf watschelt im Familienpulk übers Terrain, während Siegfried nach schnellem Sex giert und dem aufreizenden Samba-Federvieh (Waldvogel Ana Durlovski mit einer Portion zu viel Vibrato) nicht nur verstohlen hinterher schielt. Zum Schluss kommt es dann fast zur Ménage-à-trois, da kann Brünnhilde bereits für den Gibichungenhof üben.

Auch eine so treffsichere Szene wie die Quiz-Show zwischen dem etwas gleichförmig und ziemlich unverständlich gestaltenden Wanderer John Lundgren und Mime Andreas Conrad verpufft irgendwo in der imposanten Marx-Lenin-Stalin-Mao-Version des Mount Rushmore. Geschmiedet wird ohnehin viel zu laut, und wenn Dauer-Faktotum Patric Seibert den Headbanger drischt, dann ist das mittlerweile vollkommen unerträglich gewordenen.

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Doch was wäre dieser „Ring“ und besonders die letzten beiden Teile ohne die Neben- und oft genug undankbaren Rollen? Selbst der kurze Auftritt von Fafner Karl-Heinz Lehner im „Siegfried“ hat Eindruck hinterlassen. In der „Götterdämmerung“ formieren sich Nornen und Rheintöchter (Wiebke Lehmkuhl, Stephanie Houtzeel, Christiane Kohl, Alexandra Steiner) zu wohltemperierten Trios, denen man mit großem Vergnügen lauscht. Vom Seilspinnen vor der Voodoo-Höhle mit allerlei wüstem Hühnerbein-Ritual bis zur Rhein-Spritztour im flotten Mercedes. Lediglich Einspringer Albert Pesendorfer ist als Hagen reichlich eintönig, das Dämonisch-Gemeine muss man sich eh dazu denken.

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Dass er ausgerechnet von seinen Marionetten beträchtlich gefordert wird, passt aber auch wieder zur Produktion dieser Tetralogie, die nie so recht in die Balance kommen will. Die als Freia schon herb vermisste Allison Oakes fügt sich so klaglos wie wohltönend in die wenig attraktive Partie der Gutrune. Wobei Bruderherz Gunther zum Applaus-Abstauber des Abends wird. Markus Eiche ist eine Klasse für sich. Man wundert sich, wie er es schafft, im Chaos des Plaste & Elaste-Kombinats der Gibichungen stets Oberwasser zu behalten und bei allem noch perfekt zu deklamieren.

Der Regisseur Frank Castorf tat also gut daran, sich in diesem Jahr nicht vor den Vorhang zu wagen. Die Wut des Publikums ist längst selbst reif fürs Theater. Und dass seine Inszenierung doch noch zum „Jahrhundert-Ring“ werden könnte, darauf wartet der Mythen-Häcksler von der Berliner Volksbühne eh vergebens. Aber die Würstl, das muss man den Bayreuther Bruzzlern im Festspielrestaurant lassen, sind doch noch rechtzeitig fertig geworden.

 

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