Märchenzauber unter der Disney-Dusche

Das Ballett des Gärtnerplatztheaters mit "Dörnröschen" im Ausweichquartier Reithalle
von  Volker Boser

Das Ballett des Gärtnerplatztheaters mit "Dörnröschen" im Ausweichquartier Reithalle

In der Mitte des zweiten Teils hatte die Choreographie endgültig den Faden verloren. Ein verwirrter Prinz hastete mit einem Schuh in der Hand über die Bühne, um Aschenputtel zu suchen. Ein Zwerg beatmete das ohnmächtig gewordene Rotkäppchen. Froschkönig und gestiefelter Kater waren peinlich darauf bedacht, Schneewittchen aus dem Weg zu gehen.

Eigentlich stand bei dieser Ballettpremiere des Gärtnerplatztheaters in der Reithalle ein ganz anderes Märchen auf dem Programm. Doch der neue Tanzchef hielt sich nur vage an die bekannte Hallo-Wach-Story der Gebrüder Grimm. Bei Karl Alfred Schreiner verkauft die Zauberin Carabosse (Natalia Palshina) ihre Tochter Dornröschen an eine kinderlose Königsfamilie. Mit vergifteten Rosen schläfert sie danach den gesamten Hofstaat ein. Kein Wunder, dass sie wahnsinnig wird. Tröstend inmitten aller Irritationen blieb allein der Umstand, dass auch in dieser leicht verrückten Fassung Prinz Desire mit seinem berühmten Kuss das allseits bekannte Happy End einläutete.

Bis es jedoch dazu kam, bevölkerte allerlei faschingsverdächtiges Personal die karg ausgestattete Bühne, in deren Hintergrund das Orchester des Gärtnerplatztheaters unter Marco Comin Tschaikowskys gekürzte "Dornröschen"- Musik bemerkenswert stilsicher präsentierte.

Die tänzerischen Einfälle hielten sich dagegen in Grenzen. Groteske Körperverrenkungen ersetzten klassische Bewegungsrituale. Walzer und Rosen-Adagio wurden zur banalen Casting-Show von vier Slapstick-Prinzen umfunktioniert. Einer humpelte wie der "Glöckner von Notre Dame" über die Bühne. Ein anderer servierte alberne Latino-Posen. Die Choreographie vertraute auf die Wirkung deftiger Allerwelts- Pointen: Märchenzauber, grotesk verzerrt im Stile von Walt Disney.

Auch der Schluss-Pas de Deux zwischen Dornröschen (Rita Barao Soares) und dem endlich gefundenen Traumprinzen (Davide Di Giovanni) blieb beliebig, anrührend konventionell. Danach überwog Ratlosigkeit. Ballettmuseum muss wirklich nicht sein. Aber es gibt auch keine Regel, dass zeitgemässer Tanz-Boulevard nicht mehr sein darf als simple Effekthascherei aus zweiter Hand.

Bis 3. Februar, Reithalle, Heßstrasse 132, Tel. 21 85 19 60

 

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