Märchenklassiker "Hänsel und Gretel" in der Pasinger Fabrik: Zartbittere Romantik für alle

"Hänsel und Gretel" von Humperdinck kompakt und bewegend in der Pasinger Fabrik.
Adrian Prechtel
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Die Strafaufgabe - Beerensammeln im Wald - machen Gretel (Alessia Broch) und Hänsel (Carolin Ritter) zum Kinderspiel.
Die Strafaufgabe - Beerensammeln im Wald - machen Gretel (Alessia Broch) und Hänsel (Carolin Ritter) zum Kinderspiel. © Lukas Pokorny

München - Dass unsere Volksmärchen ursprünglich für Erwachsene waren, lässt sich schon daran sehen, dass in heutig empfindlicheren Zeiten sogenannte Triggerwarnungen vor viele dieser Geschichten gestellt werden könnten. Bei "Hänsel und Gretel" mindestens: Gewalt gegen Kinder (allein von der überlasteten Mutter in den Wald geschickt) und Erwachsene (die Hexe im Ofen) sowie niederdrückende soziale Not (Hunger).

Märchenstoff ist eigentlich was für Erwachsene

Was nur mit religiöser Übertünchung beruhigt werden kann: "Wenn die Not auf's Höchste steigt, Gott, der Herr, die Hand uns reicht!", singt der Besenbindervater bei Humperdinck am Ende und alle fallen mit ein. Aber ansonsten beschönigt Engelbert Humperdinck – mit seiner Schwester Adelheid Wette als Librettistin – in ihrer zweistündigen, dreiaktigen Opernversion nichts. Dass Kinder daraus für sich eher die Abenteuergeschichte mit gutem Ausgang herausfiltern, ist dann Selbstschutz.

Liebevolle Inszenierung auf Bayerisch

Und einsam im Wald (nach Irrlichtern und bei Nebel) kommt für die verirrten Kinder dann auch der erlösende Schlaf – hier durch ein feenartiges Sandfräulein (Yvonne Steiner) und zwei der vierzehn Schutzengel stehen unter den Bäumen nächtlich zur Seite. Sie vertreiben auch die shakespearehaften, sommernachtstraumartigen, wunderbar geschmeidig und neckisch tanzenden Waldgeister (Elodie Lavoignat und Anja Straubhaar). So kann man auch die Inszenierung von Malanie Renz für die Pasinger Fabrik generationenübergreifend genießen und auf sich wirken lassen. Die kurzen Dialoge wurden dazu ungekünstelt und gereimt ins Bairische übertragen, wozu dann auch gleich die rustikale Holzstube der Familie passt.

Und wenn nach zwei Stunden - aber mit einer Essens- und Trinkpause an den Tischchen im Zuschauerraum - die Hexe tot ist und die Kinder wieder bei den Eltern sind, ist auffällig nur weggekürzt worden, was einen (Kinder-)Chor erfordert hätte: die Befreiung der Kuchenkinder aus ihrem Lebkuchendasein.

Kompakte Version: musikalisch und auf der Bühne

Die generelle Kompaktheit drückt sich hier auch im musikalischen Arrangement (Rudolf Maier-Kleeblatt und Jörg-Oliver Werner) aus, das aus einem gedachten, kleinen Symphonieorchester passend ein Kammerorchester mit elf Musizierenden macht. Das kommt dem Raum der Wagenhalle sehr zu gute. Denn der filigrane, polyphone Orchestersatz Humperdincks kann sich so wunderbar transparent entfalten, was auch der beschwingt präzisen Arbeit von Dirigenten Andreas Heinzmann geschuldet ist. Mehr Instrumentenpower wünscht man sich allerdings beim wilden Hexenritt.

Diese kleine Überwältigungslücke schließt dann die Hexe selbst: Stefan Kastner sing-spricht sie tenoral, dass sich einem wirklich die Haare sträuben. Sie ist als Außenseiterin angelegt, die sich ihre Befriedigung durch Kindesentführung holt, und das ist hier - im Stück klar angelegt, aber oft runtergespielt - klar angedeutet: lüsterne Verführung und lippenleckender Kannibalismus, der dann ja noch rechtzeitig vereitelt wird.

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Treffsichere Sopranistinnen

Gesangliches Können wird in der akustisch etwas trockenen Wagenhalle gnadenlos geprüft, weil, man alles unreflektiert, direkt und nah mitbekommt. Und hier ist mit Hänsel (Carolin Ritter, Mezzo) und Gretel (Alessia Broch, Sopran) eine Spitzenbesetzung gelungen: fein, treffsicher, sensibel genau auf Raum und Orchester eingestellt. Das gilt auch für den optimistischen Vater (Philipp Gaiser), dessen gute Laune im Elend auch vom Kümmelschnaps kommt und der von Sorge angezehrten Mutter Maria Margarete Brunauer nimmt der Figur angenehmerweise auch nicht das Nervöse, nervlich Überforderte.

Das Bühnenbild ist romantisch gehalten (Claudia Weinhart) und dazu märchenhaft-magisch beleuchtet, was mit den Kostümen (Anne Hebbeker) korrespondiert (neben Tracht eben auch manches aus der Glitzerfeen- und Waldwelt). Allenfalls das expressionistisch schiefe Hexenhaus hätte mehr Zuckerbäckerstil vertragen können. Eine Kleinigkeit in einem derart schlüssigen, bewegenden Gesamtkunstwerk.

Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, Wagenhalle, noch bis 7. Januar, Karten: 38, 34 Euro (am Tisch), 30 Euro (Reihe), www. pasinger-fabrik.de, Tel. 82 92 079 oder muenchenticket.de

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