Interview

Moritz Treuenfels über "Andersens Erzählungen" im Residenztheater

Moritz Treuenfels über das Musiktheater von Philipp Stölzl nach dem dänischen Schriftsteller
von  Anne Fritsch
In Andersens Märchenwelt: Isabell Antonia Höcke (links), Moritz Treuenfels und Veronica Vagnoni.
In Andersens Märchenwelt: Isabell Antonia Höcke (links), Moritz Treuenfels und Veronica Vagnoni. © Sandra Then

Das Musiktheaterstück "Andersens Erzählungen" von Jherek Bischoff, Jan Dvorák und Philipp Stölzl thematisiert Werk und Leben des dänischen Märchenautors Hans Christian Andersen. Andreas brachte es 2019 in Basel heraus, nun übernimmt der Intendant die Prodiktion ins Residenztheater. Moritz Treuenfels spielt die Hauptrolle.  Geboren 1988 in Eutin, absolvierte er seine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg Schule. Er war Ensemblemitglied in Düsseldorf, Potsdam und Basel. Seit 2020 ist er Ensemblemitglied am Residenztheater.

AZ: Herr Treuenfels, meine erste Begegnung mit Hans Christian Andersen war leicht traumatisch. Ich habe als Kind "Die kleine Meerjungfrau" im Kino gesehen und so Angst bekommen, dass wir rausgehen mussten.

Moritz Treuenfels: Das verstehe ich total. Das ist eins der beliebtesten Märchen der Welt und eins der brutalsten. Was Andersen da erzählt, ist schlimm und selbstzerstörerisch. Selbst bei Disneys "Arielle", wo viel verharmlost wird, ist das unglaublich traurig. Und wenn man weiß, dass Andersen sich da selbst reingeschrieben hat, ist das fast masochistisch.

Also erlebte er sich selbst als jemand, der in der Welt, in die er geboren wurde, nicht glücklich werden kann?

Ich denke schon. In seinen Märchen kommt viel aus einem großen Leid. Wie auch das hässliche Entlein. Andersen hat sein Leben lang gehadert mit seiner Körperlichkeit und kürt sich in seiner Geschichte letztlich zum schönen Schwan, ein seltenes glückliches Ende. Bei der Meerjungfrau geht es nicht so gut aus. Und auch er selbst erlebte nie eine erfüllende Liebe.

Für die Meerjungfrau gibt es überhaupt keine Option, die sie glücklich machen würde.

Und das weiß sie. Sie steigt von Anfang an sehend in ihr Verderben. Deswegen ist dieses Märchen auch so toll. Sie hat dieses große radikale Lebens- und Liebesbild, wirft sich alternativlos da hinein. Man selber würde das hoffentlich nie tun, aber diese Sehnsucht kenne ich schon. Ihren Schmerz hat Andersen mit fantastischen Bildern ausgemalt. Das lässt einen nicht unverwundet zurück.

Was war das erste Andersen-Märchen, mit dem Sie in Berührung gekommen sind?

Ich glaube, das war "Die Nachtigall". Da geht es um einen abgeschottet lebenden Kaiser, der den wunderschönen Klang einer Nachtigall konservieren will und daher einen Roboter baut, eine KI. Das funktioniert zunächst auch, aber irgendwie fehlt ihm dann die Seele. Auch wenn ich das als Kind nicht in Gänze verstanden habe, fand ich das sehr schön. Ansonsten war ich eher bei den Grimm-Märchen und bei Astrid Lindgren. "Die Brüder Löwenherz" ist ja auch märchenhaft, oder?

Ja, und vor allem auch traurig.

Genau. Und das war nämlich der Film, von dem ich als Kind traumatisiert war. Wir waren zu Besuch bei Freunden, und meine Eltern wussten nicht, was wir anschauten. Das war so grauenhaft. Wie der Bruder stirbt und dann diese bösen Soldaten kommen.

Aber lustig, dass wir über Andersen direkt bei Kindheitstraumata landen.

Daran kommt man bei ihm wohl nicht vorbei. Er selbst hat in seinen Geschichten sein eigenes Kindheitstrauma verarbeitet. Sein Vater ist früh gestorben, seine Mutter hat sich tot gesoffen. Er wurde schließlich von einem Kunstmäzen und dessen Familie aufgenommen, um den es auch in unserem Stück geht. Ob diese Familie das irgendwann bereut hat, weiß ich nicht, aber Andersen hat sie schon ziemlich heimgesucht.

"Andersens Erzählungen" ist ein Stück mit Musik und Tanz - wie erleben Sie dieses Zusammenspiel der verschiedenen Bühnenkünste?

Das ist für mich das allergrößte Glück. Oft wird eine Geschichte durch Musik eher revuehaft oder leichter, aber weil diese Märchen eine so existentielle Weite haben, tauchen wir durch die Musik noch tiefer in sie hinein.

Was für ein Mensch ist dieser Dichter, den Sie spielen? Ist er ein Fantast, weil er an der Realität gescheitert ist?

Total. Bei ihm gibt es gefühlt keine Grenzen, er ist in alle Richtungen komplex. Er selbst hat sich als Karikatur wahrgenommen und auch in Scherenschnitten so dargestellt, hatte ein Riesenproblem mit seinem Äußeren. Er konnte seine Körperlichkeit und seine Sexualität nicht einordnen. Für mich ist er zart und liebevoll und gleichzeitig so verrückt, dass ich einfach nur dankbar bin, das spielen zu dürfen. Andersen war einer, der den Laden gesprengt hat. Er wollte den Dingen auf den Grund gehen, wissen, warum etwas so ist und nicht anders. Er hat weder sich selbst geschont noch die anderen. Das ist menschlich, aber auch anstrengend.

Er hat nirgendwo dazugehört.

Er hat mit seiner Identität gehadert, konnte sich und seine Sehnsüchte nicht einordnen. Er hat sich immer wieder in Männer verliebt, sich aber eingeredet, er würde Frauen mögen - und dann gemerkt, dass er eigentlich doch auf den Bruder oder den Freund steht. Er war wahnsinnig hypochondrisch, hatte Angst, lebendig begraben zu werden. Neben seinem Bett lag immer die Notiz: "Ich bin nicht tot, ich schlafe nur." Er war einfach psychisch kein besonders gesunder Mensch.

Er fühlte sich zu seinem Jugendfreund Edvard Collin hingezogen, im Stück reist er zu dessen Hochzeit an - will er sie sprengen?

Er war wahnsinnig vernarrt in Edvard. Als der geheiratet hat, hat Andersen "Die kleine Meerjungfrau" geschrieben, da gibt es also einen direkten Zusammenhang. Für ihn spielt es keine Rolle, ob er eine Chance hat bei Edvard. Er spürt, dass er ein ungebetener Gast ist, aber er entwirft dieses große Bild: Wenn ich an dir scheitere…

… dann mit Karacho.

Genau.

Die Welt, in der er lebte, war geprägt von Pflichten und Vorgaben. Ist in so einer Welt wirkliches Glück überhaupt möglich?

Das System funktioniert jedenfalls, bis er auftaucht. Ein bisschen nach dem Motto "was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß". Wenn man so ein großes Liebesbild nicht kennt, vermisst man es nicht. Als Andersen es aber zeichnet, taucht bei der Braut schon die Frage auf, wie sie jetzt noch heiraten soll.

Er impft sie gewissermaßen mit seiner Utopie.

Und sie erkennt, was in dieser bürgerlichen Welt alles fehlt. In der realen Welt wurde sie später übrigens Andersens Nachlassverwalterin, zwischen den beiden herrschte eine große Verbundenheit.

Am Ende reist er ab, kehrt zurück in seine Welt. Wie ordnen Sie das ein?

Für mich ist das tieftraurig. Das Ende hat auch etwas sehr Wahnsinniges und Krankes. Er ist im Grunde lebensmüde und flüchtet sich noch tiefer in seine einsame Fantasiewelt.

Ist das wirklich eine Realitätsflucht oder bringt Andersen vielmehr seine Fantasie in die Welt?

Das ist eine spannende Frage, die kann man auf die gesamte Kunst übertragen. Andersen hatte einen starken Eskapismus, hat sich in eine Fantasiewelt geflüchtet, dort aber sehr lebensnahe Dinge verhandelt. Die wiederum hat er als Geschenk in die Welt getragen, und wir nähren uns heute noch von diesem Kosmos. Er ist also nicht geflüchtet, um die Realität nicht zu sehen. Er hat sich vielmehr an ihr abgearbeitet und sich vor nichts gescheut, wollte alles sehen. Uns hat er dadurch einen unglaublichen Schatz hinterlassen.

Premiere Samstag (ausverkauft), wieder am 22. und 24. November

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