Luise Kinseher im Interview: "Ich mache keine Kompromisse mehr"
München - AZ-Interview mit Luise Kinseher: Geboren 1969 in Geiselhöring. Sie studierte in München und chrieb eine Magisterarbeit über Sigi Zimmerschied. 1998 präsentierte sie ihr erstes Solo "Ende der Ausbaustrecke". Von 2011 bis 2018 hielt sie als Mamma Bavaria die Salvatorrede.
Die Möbel sind raus. Die Kinseher sitzt in ihrer leeren Wohnung und hat plötzlich unendlich viel Platz: sie könnte ungehindert auf Socken den Gang hinunterrutschen, endlich ausladend zu Abba tanzen oder ein Bobbycar-Rennen Rennen veranstalten, wenn da nicht dieses riesige Loch im Boden wäre: Los ging es mit einer kleinen Delle im Parkett, dann wurde es ein Riss, schließlich irgendwann das Loch.
Luise Kinseher: "Das Hauptthema ist der Klimawandel und unser Verhältnis zur Natur"
Bevor Kinseher diese weitreichenden Fragen in ihrem Programm "Wände streichen. Segel setzen" im Lustspielhaus beantwortet, macht sie auf der Bühne erst mal einen Schampus auf.
AZ: Frau Kinseher, Ihr neues Programm "Wände streichen. Segel setzen." klingt schwer nach Auf- und Umbruch. Wird alles anders?
LUISE KINSEHER: So ist es. Ich wollte in diesen schweren Zeiten ein optimistisches Programm machen, das ein paar Gedanken und Ideen beinhaltet, wie man mit diesen Rissen umgehen könnte, wollte schauen, welche Chancen in diesen Rissen und Löchern liegt, die uns allen derzeit so im Weg liegen. Das Hauptthema ist aber der Klimawandel und unser Verhältnis zur Natur.
In der Ankündigung zum Programm schreiben Sie von einem Loch im Parkett. Das steht wohl für den Boden, den wir allmählich unter den Füßen verlieren, korrekt?
Es steht für ein Problem, gegen das man viel zu lange nichts getan, das man nicht beachtet hat. Es ist aber auch das Loch in der Seele. Es steht für sehr viel in dem Programm, auch für die schwarzen Löcher im Weltall, die zwar unheimlich sind, aber in der Ausgewogenheit unserer Galaxie eine ganz zentrale Rolle spielen. Es gibt ja nichts ohne sein Gegenteil, und das Loch, das zunächst bedrohlich wirkt, etwas, mit dem man sich nicht auseinandersetzen will, kann man auch als Chance für etwas Neues begreifen. Mein Riss im Parkett hat sich im Lauf der Jahre zu einem richtigen Loch ausgewachsen, so dass ich im Wohnzimmer mittlerweile ein Naturparadies habe. Ein phantastische Geschichte als roter Faden, garniert mit Themen, die mir wichtig erscheinen.
Luise Kinseher: "Die Leute sollen wieder lachen, ins Kabarett gehen, erkennen, dass es Kultur gibt"
Klingt recht weit weg von der heimeligen Mama Bavaria.
Ja, die gibt es da jetzt nicht mehr, wobei ich als Luise Kinseher praktisch unzertrennlich und sozusagen mit ihr verschmolzen bin. Aber ernst ist das Programm überhaupt nicht! Das ist total lustig. Bei den Vorpremieren war ich total überrascht, das die Leute wirklich von Anfang bis Ende durch lachen. Ich hoffe, das bleibt so.
Ernst ist also nur das Thema.
Karl Valentin hat gesagt: "Es gibt das Positive, das Negative und die komische Seite einer Sache." Ich versuche immer, diese komische Seite zu finden. Die Leute sollen ja wieder lachen, ins Kabarett gehen, erkennen, dass es Kultur gibt, die dem ein oder anderen vielleicht einen neuen Gedanken eröffnet.
Luise Kinseher: "Corona hat mir gezeigt, wie schnell alles vorbei sein kann"
Sie haben die Vorpremieren angesprochen: Wie erleben Sie die Stimmung im Land?
Die Leute sind - wie wir alle - besorgt. Auf dem Land haben sie aber ganz andere Sorgen und Probleme: Wenn wir Städter Angst haben, dass wir kein Gas mehr in der Wohnung haben, greifen die auf den Holzofen oder die Solaranlage auf dem Dach zurück. Der Alarmismus in den Medien, die Angst vor Atomkrieg und Blackout: Ich weiß gar nicht, wie sehr das bei den Menschen ankommt. Ich hoffe, dass ich diese Themen mit Optimismus, Heiterkeit und Hoffnung pfeffern kann.
Luise Kinseher: "Ich mache das, was ich machen will"
Warum sind die Kleinkunstbühnen derzeit so besucht?
Wir müssen jetzt einfach Hurra schreien und sagen "Wir sind wieder da! Es gibt uns noch! Die Bühnen stehen noch. Wir haben gearbeitet, haben neue Ideen, neue Geschichten zu erzählen." Es heißt jetzt: dran bleiben, weitermachen, etwas anbieten, Leute begeistern, bis sich alles wieder normalisiert.
Zuschauer begeistern: Das machen Sie nun seit fast 25 Jahren. Wie unterscheidet sich die aktuelle Luise Kinseher von der aus der Anfangszeit?Mehr Falten, aber auch mehr Gelassenheit. Corona hat mir gezeigt, wie schnell alles vorbei sein kann - und um wie viel wichtiger es ist, dass man das macht, was einem am Herzen liegt, sich selbst vertraut, nach innen schaut, guckt, was da drin ist und versucht, das herauszuholen und nicht im Außen irgendwelchen äußeren Zielen hinterher zu rennen.
Wie hat sich Ihre Branche in der Zeit verändert?
In den letzten 15 Jahren hat sich das Kabarett zu einem wahnsinnig kommerzialisierten Genre ausgewachsen, wo Kollegen Olympiahallen und riesige Arenen füllen - dabei ist es eigentlich eine Brettl-Kunst, die jenseits des Mainstreams in kleinen Hinterhöfen passieren darf und soll. Diesen Spagat versuche ich nicht mehr. Ich mache das, was ich machen will, biete das den Menschen an, und alles andere ist mir ehrlich gesagt egal. Ich mache auch keine Kompromisse mehr, wegen irgendwelcher Marketing-Zwänge bei bestimmten TV-Produktionen oder Ähnlichem. Das hat mich Corona gelehrt. Das kann man aber auch erst ab einem gewissen Alter tun. Wenn man 30 ist und am Anfang steht, kann man nicht so daherreden wie ich. Da ist man nicht so entspannt. Ich sehe das als Geschenk, dass es mich in dem Alter getroffen hat und nicht mit 35. Aber ich bin immer voller Hoffnung. Das Publikum findet schon die Kunst, die es sehen will und die es braucht fürs Leben - und dem muss man auch irgendwie vertrauen. Vielleicht ist auch die Zeit vorbei, in der man dachte, aus Marketingaspekten immer alles verkaufen zu müssen.
Premiere am Mittwoch, 19. Oktober im Lustspielhaus. Weitere Vorstellungen bis 4. November, Infos unter lustspiehaus.de,
Karten ab 29 Euro bei Münchenticket und unter Telefon 54818181
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