Kritik

"Lohengrin" bei den Bayreuther Festspielen: Wagner ohne Probleme

Bayreuther Festspiele: Christian Thielemann dirigiert "Lohengrin" mit Klaus Florian Vogt.
von  Walter Weidringer
Camilla Nylund (Elsa von Brabant, von links), Petra Lang (Ortrud), Martin Gantner (Friedrich von Telramund) und Klaus Florian Vogt (Lohengrin) mit dem Chor während der Bayreuther Festspiele 2022
Camilla Nylund (Elsa von Brabant, von links), Petra Lang (Ortrud), Martin Gantner (Friedrich von Telramund) und Klaus Florian Vogt (Lohengrin) mit dem Chor während der Bayreuther Festspiele 2022 © picture alliance/dpa/Festspiele Bayreuth

Eine Symphonie in Wolkenblautönen mit Silberstreifen, kontrastiert von Aperol-Spritz-Orange. Eine märchenhafte Insektenwelt, elektrisch verkabelt mit Umspannwerken und Trafohäuschen. Wie aus Pappe ausgeschnittene Bäumchen und Strommasten. Und ein seltsamer Gast in der Kluft eines Maschinisten, herbeigebeamt aus der Zukunft oder einer Parallelwelt: Am Abend, bevor den Göttern ein düsterer Tag dämmert im Finale des "Ring des Nibelungen", ist die letzte Spielzeit für diesen Bayreuther "Lohengrin" aus dem Jahr 2018 angebrochen.

Viel Regie pfuscht nicht in die begeh- und besingbare Kunstinstallation von Rosa Loy und Neo Rauch hinein, und wenn, dann hat sich Yuval Sharon eher Merkwürdigkeiten einfallen lassen - aber diese Produktion war und ist mehrheitlich wohlgelitten am Grünen Hügel. Bedeutet ihr Ausscheiden auch den - vorerst - letzten Wagner-Sommer von Christian Thielemann?

Thielemann ist musikalisch eigentlich unverzichtbar

Das am Ende herzlich jubelnde, rhythmisch klatschende Publikum will ihn jedenfalls nicht sang- und klanglos ziehen lassen. Gerade im Vergleich zum neuen "Ring" wird im Nu klar, dass Thielemann musikalisch eigentlich unverzichtbar ist.

Das Festspielorchester, unter Cornelius Meister im "Ring" manchmal merkwürdig ungelenk und fremdelnd, reagiert bei ihm offenbar auf jeden kleinsten Wink, wächst über sich hinaus, lässt den Klang hier prachtvoll strömen, nimmt ihn dort bruchlos zurück. Von einer Interpretation wie aus einem Guss wird in solchen Fällen gerne gesprochen - doch ist dieses Bild eigentlich falsch, weil es etwas Ausgehärtetes, Steifes suggeriert.

Davon kann hier keine Rede sein, ganz im Gegenteil: Gerade die Geschmeidigkeit fasziniert, mit der sich bei Thielemann die melodischen Bögen die Hände zu reichen scheinen. Die Dramaturgie aus Tempi und Dynamik gleicht sich flexibel dem Wortvortrag und den Stimmen an: Davon profitiert vielleicht Martin Gantner am meisten, dem durch diese kluge Begleitung auch ohne baritonales Dauerfeuer ein prägnanter Telramund gelingt.

Bei einer Wagnerveteranin wie Petra Lang, die ihren Zenit zwar überschritten hat, aber die Ortrud desto beängstigender zu singen versteht, ist weniger Rücksichtnahme erforderlich, da darf es auch mal aus dem Graben lodern. Aber: Wie Thielemann zarte Übergänge auskostet, indem er noch einen Hauch leiser und langsamer wird, worauf dann alles wie von selbst hinübergleitet, in den nächsten Streicherakkord fließt, das folgende Oboensolo zum Schweben bringt oder dem Gesang Samt unterbreitet - das ist große Oper.

Vogts überzeugt mit seinem keusch-entrückten, knabenhaften Timbre

Auf der Bühne ist ihm dabei Klaus Florian Vogt der trefflichste Partner: Der Lohengrin ist und bleibt seine beste Wagner-Partie, ja vielleicht überhaupt die zentrale Leistung seiner Karriere. Vogts keusch-entrücktes, knabenhaftes Timbre wurde schon oft mit dem einer Trompete verglichen. Von den Momenten strahlender Kraft abgesehen, denen eine Prise Anstrengung beigemengt ist, wäre jedoch ein Flügelhorn als Analogie passender, das tönt weicher, runder - auch und gerade bei den traumhaften Pianissimo-Höhepunkten, die Vogt mit schwerelosen Kopftönen erzielt: "Heil dir, Elsa" war so ein unvergesslicher Augenblick, und nach der Gralserzählung geriet das wehmütig-leise Schwanenlied zum Abschied vielleicht überhaupt zur intensivsten, schönsten Passage des Abends.

Der blassblaue Ritter: Klaus Florian Vogt als Lohengrin in Bayreuth.
Der blassblaue Ritter: Klaus Florian Vogt als Lohengrin in Bayreuth. © picture alliance/dpa/Festspiele BayreuthEnrico Nawrath

Solche im Opernalltag kaum je zu erlebende Subtilitäten trösten sogar über die Tatsache hinweg, dass Vogts knapper werdende Atemreserven zu vielen zerteilten Phrasen führen. Dieses Problem hat Camilla Nylund nicht, die als Elsa zwar oft etwas milchig trüb tönt, aber für eine mittlerweile bei der Isolde angelangte Sopranistin außerordentliche Pianokultur und lyrische Anmutung zeigt.

Camilla Nylund (Elsa von Brabant).
Camilla Nylund (Elsa von Brabant). © picture alliance/dpa/Festspiele Bayreuth

Dazu die Staatsmacht in den bewährten Händen von Georg Zeppenfeld - sowie nicht zuletzt ein Festspielchor, der bei aller Schallkraft etwa im zweiten Aufzug kein morgendliches Kasernenhofgebrüll hören lässt, sondern mit geradezu Weber'scher Leichtigkeit singt: in Summe ein Abend, der musikalische Probleme schon zu lösen schien, bevor sie sich überhaupt stellen konnten.


BR Klassik sendet am 24. September um 19.05 Uhr eine Aufzeichnung. Klaus Florian Vogt singt im Dezember auch den Lohengrin in der Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper

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