Livestream der Staatsoper: Der Applaus des vollen Hauses wird sehr vermisst
München - Zwei junge Frauen und zwei feine Herren in Abendgarderobe bewegen sich dekorativ in einem minimalistischen Bühnenbild und singen, vom Cembalisten Chad Kelly sachte dirigiert, beste Barockmusik von Henry Purcell und Claudio Monteverdi. Man versteht zwar nicht so recht, wer wann wen anspielt, und wenn man auf dem heimischen Computerbildschirm die Untertitel nicht eingeschaltet hat, auch nicht warum.
Macht nichts: Das alles ist nicht nur wunderschön anzusehen und anzuhören, sondern rundet sich auch ohne Handlung zu einem großen Ganzen. Am Anfang und am Ende stehen Szenen aus "The Fairy Queen" und "King Arthur" von Henry Purcell, die das Ballett "Il Ballo delle Ingrate" aus dem achten Madrigalbuch von Claudio Monteverdi einfassen wie einen Edelstein.
Echtes, fein aufeinander abgestimmtes Ensemble
So ein englisch-italienisches Best-of könnte sich schnell anfühlen wie ein Flickenteppich. Doch genau der wird hier nicht zusammengestückt, weil die vier Sänger bei aller Individualität doch ein echtes, fein aufeinander abgestimmtes Ensemble bilden. Alle haben sinnlich weiche Stimmen, alle können sie diese spannungsvoll führen. Deshalb ist es bei diesem Programm besonders bedauerlich, dass man es nicht direkt im Nationaltheater erleben kann, sondern auf die Übertragung per Live-Stream angewiesen ist.
Caspar Singhs Tenor erblüht in Purcells Werken zu heller Pracht
Denn selbst mit guten Kopfhörern kann man den immensen Modulationsreichtum von Emily Pogorelc und Corinna Scheurle nicht in seiner ganzen Fülle wahrnehmen. Die Sopranistin und die Mezzosopranistin können nicht nur ätherisch hauchen, sondern ihre Ariosi auch mit libidinösem Reiz aufladen. Bei Caspar Singh merkt man, dass sein geschmeidiger Tenor für den Part von Monteverdis Amore eigentlich zu hoch liegt, doch in Purcells Werken erblüht er zu heller Pracht.
Martin Snell grundiert das Ensemble nicht nur mit seinem stark gefärbten Organ, er bibbert auch gebührend im sogenannten "Cold Song" aus Purcells "King Arthur" und hat die supertiefen Töne für die Bass-Partie des Pluto, der in Monteverdis Ballett seltenerweise einmal die Hauptrolle spielt.
Dirigent Chad Kelly lässt den Sängern alle Freiheiten
Gerne hätte man im Saal näher verfolgt, wie umstandslos sich die Solisten des Bayerischen Staatsorchesters in ein Barockensemble verwandeln können, mit stilecht improvisierenden Streichern und Naturtrompeten, die ihre Töne nicht quetschen, sondern sauber strahlen lassen. Als am Cembalo mitspielender Dirigent macht Chad Kelly alles richtig: Er lässt den Sängern alle Freiheiten und tänzelt ansonsten einfach animierend mit. Nie hat man tosenden Applaus so vermisst wie nach diesem hinreißenden Programm, das hoffentlich dereinst einmal in einer voll besetzten Staatsoper wiederholt wird - sobald die Pandemie bewältigt ist.
Auf www.staatsoper.tv ist das Video für 30 Tage kostenpflichtig abrufbar.
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