"L’infedeltà delusa" von Joseph Haydn im Cuvilléstheater: Seid ihr bereit für meine Liebe?

Eine Produktion des Opernstudios: "L'infedelta delusa" von Joseph Haydn im Cuvilléstheater.
Marco Frei |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Jessica Niles als Sandrina, die sich ihre lesbische Liebe nicht verbieten lassen will, auch wenn sie einen anderen (Joel Williams) heiraten soll.
Jessica Niles als Sandrina, die sich ihre lesbische Liebe nicht verbieten lassen will, auch wenn sie einen anderen (Joel Williams) heiraten soll. © Wilfried Hösl

Wenn eine Oper heute nicht mehr greift, wird sie frisiert. Bei Joseph Haydn passiert das häufig. Noch nie wurde aber ein Werk derart frisiert wie jetzt "L'infedeltà delusa" von 1773 für das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper. Der bisweilen auch geläufige deutsche Titel "Liebe macht erfinderisch" wurde wörtlich genommen. Aus der Bass-Partie des Bauern Nanni wurde kurzerhand eine Frauenrolle. In dieser Lesart sind Nanni und Sandrina ein lesbisches Paar. Dafür gab es für die Inszenierung von Marie-Eve Signeyrole auf der Premiere im Cuvilliéstheater einige lautstarke Buhrufe.

"L’infedeltà delusa" im Cuvillèstheater: Dieverse Frauenpower

Mit dieser Premiere konnte sich Staatsopern-Intendant Serge Dorny fraglos PR-wirksam als moderner, weltoffener Denker zeigen. Ein lesbisches Bühnenpaar, inszeniert von einer Frau und mit der Dirigentin Giedre Šlekyte am Pult: So viel genderphile, diverse Frauenpower erlebt man nur selten. Und doch funktioniert es prächtig: Das Konzept von Signeyrole entwickelt tatsächlich eine packende Geschichte.

Bevor die Ouvertüre beginnt, führt das Video von Laurent La Rosa durch ein verfallenes Gebäude. Es ist ein ehemaliges Frauen-Internat. Hier lebten in den 1950er Jahren auch Nanni und Sandrina, was nach der Pause vor Einsatz der Musik mit einer Cowgirl-Party noch betont wird.

Als stumme Erzählerin mit Live-Kamera führt Céline Baril durch den Stoff. Ihr Bericht wird auf die Leinwand projiziert. Demnach ist Filippo, der Vater Sandrinas, zugleich der Direktor des Internats. Es wird wie ein Gefängnis geführt.

Liebes-Dreieck: Trio greift zu listigem Plan

Auch die strenge, stumme Oberin von Tatjana Smutna schlägt gerne einmal kraftvoll zu. Dieses menschenfeindliche Ambiente erinnert an den australischen Meisterfilm "Picknick am Valentinstag" von Peter Weir aus dem Jahr 1975. Er spielt in einem viktorianisch-verschlossenen Mädchen-Internat.

Für Freiheit bleibt da wenig Platz, umso rebellischer agieren die Liebe und die Liebenden. Sandrina möchte sich nicht von ihrem Vater vorschreiben lassen, den reichen, jungen Bauern Nencio zu heiraten. Sie kann und will auf ihre Nanni nicht verzichten. Das kommt auch Vespina, die Schwester Nannis, gelegen. Sie ist in Nencio verliebt, und so greift das Trio zu einem listigen Plan.

Das alles lebt von der schlicht überwältigenden Leistungen von Emily Sierra als Nanni und Jessica Niles in der Partie der Sandrina. Wie sie dieses rebellische Liebespaar durchdringen, das weist sie als veritable, große Sänger-Darstellerinnen aus. Sie kämpfen nicht einfach gegen das Patriarchat an, sondern entlarven und konterkarieren es mit reichlich Spott. Die herrische Männerwelt wird mit ihren eigenen Waffen geschlagen.

Das kann für die Herren mitunter durchaus bedrohlich werden, wenn etwa die jungen Frauen im Internat mit Waffen hantieren. Darunter leidet keineswegs das Buffa-Profil dieser "Burletta per musica" in zwei Akten. Dafür steht nicht zuletzt Jasmin Delfs, die als Vespina äußerst agil zwischen Tragik und hinterlistiger Komik zu changieren versteht. Leider können da die Männer-Solisten nur bedingt mithalten.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Erste Neuproduktion für  Dirigentin Giedre Šlekyte

Der Tenor von Joel Williams als Nencio wirkt in der Höhe brüchig oder blass wie Armando Elizondo als Filippo. Auch Andrew Gilstrap kann der Partie des Vaters von Nencio stimmlich nur wenig Profil abringen, obwohl das Bayerische Staatsorchester mit Michael Pandya am Cembalo überaus stilsicher agiert.

Unter der historisch informierten Leitung Šlekytes wird der aus dem Tanz kommende italienische Humor geradezu haptisch und wunderbar leichtfüßig durchgeführt. Das gilt auch für die geradezu kühn entworfene Instrumentation Haydns: etwa wenn die als Alte verkleidete Vespina in ihrem Rezitativ eben nicht nur vom Cembalo begleitet wird, sondern Streicher ihr eine besondere Würde verleihen.

Für die Dirigentin Giedre Šlekyte aus Litauen ist es ihre erste Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper, und auch für Marie-Eve Signeyrole war es ein Hausregiedebüt. Am Ende siegt das Trio. Oder doch nicht? Um Sandrina herum lodert plötzlich das Feuer. Offenbar ist die Welt nicht reif für eine lesbische Liebe.


Noch bis zum 29. März im Cuvilliéstheater, jeweils um 19 Uhr. Karten und Infos unter: www.staatsoper.de

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.