"Like Lovers Do": Warnung vor dem Text
München - Die letzte Begegnung des Kammerspiel-Publikums mit der aus Jerusalem stammenden und in Berlin lebenden Sivan Ben Yishai war im vegangenen Jahr. Heike Goetze choreogafierte deren Stück "Liebe" als wortlose Performance. Der Text wurde dabei zum Mitlesen projiziert. Das Theater von Pinar Karabulut ist zwar auch körperlich, aber zugleich Schauspiel. Sie inszeniert die Uraufführung von Yishais "Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)" am Samstag an den Kammerspielen.
AZ: Frau Karabulut, bevor sie Mitglied der Künstlerischen Leitung der Kammerspiele wurden, inszenierten Sie in München bereits ein Lorca-Projekt und eine Achternbusch-Uraufführung am Volkstheater. Hatten Sie schon Gelegenheit, den Neubau, der in wenigen Tagen eröffnet wird, zu sehen?
PINAR KARABULUT: Leider nur von außen. Aber ich finde es sehr aufregend. Mit den Kolleginnen und Kollegen vom Volkstheater habe ich schon gesprochen, und die sind total begeistert. Das Ensemble hat mir schon eine Führung versprochen. Ich will auch zur Premiere von "Edward II.", denn ich habe den Stoff in der vorigen Spielzeit als sechsteilige Miniserie am Schauspiel Köln inszeniert.
Ihre aktuelle Inszenierung trägt Medusa im Titel. Diese mythische Frauengestalt könnte auch in einem modernen Horrorfilm eine gute Figur machen: Athene verfluchte sie, obwohl sie das Opfer einer Vergewaltigung war, und aus ihr wird ein Monster mit Schlangen, die aus dem Kopf wachsen, und glühenden Augen. Selbst nach der Enthauptung ist der Kopf noch waffentauglich und wer sie ansieht, erstarrt zu Stein. Wie eklig wird es bei Ihnen?
Das Ganze ist eine Textfläche und Sivan Ben Yishai nutzt den Medusa-Mythos als Rahmen. Die Geschichten, die wir an diesem Abend hören, handeln von der "Schändung des Körpers" - ob weiblich oder männlich ist irrelevant. Wir sind im großen Kosmos der noch immer tabuisierten Themen Missbrauch und Vergewaltigung. Das Spannende ist, wie politisch diese privaten Geschichten in einer hetero-normativen Welt mit Mann und Frau werden, wenn die Gewalt vor Gericht oder an die Öffentlichkeit kommt. Das ist immer mit "Shaming" verbunden: Wie werden die Menschen aus dem Umfeld reagieren? Gibt es Unterstützung oder glaubt überhaupt jemand die Geschichte?
"Der Text kann auf manche Menschen retraumatisierend wirken"
Auf "Textflächen" finden sich selten feste Rollenzuschreibungen.
Der Text ist eine sehr assoziative Aneinanderreihung von realen und fiktiven Erlebnissen, die von einem kollektiven Ich erzählt werden. Es gibt Geschichten wie die einer Studentin, die von ihrer Professorin belästigt oder die Ehefrau, die von ihrem Mann vegewaltigt wird, oder Momente, die von sexualisierter Gewalt im Krieg erzählen. Sivan Ben Yishai sammelt Geschichten aus aller Welt und fügt sie, brutal in der Sprache, zusammen.
Die Produktion wird mit einer so genannten "Triggerwarnung" angekündigt. Muss man das heutige Publikum vor Theater warnen?
Darüber haben wir lange nachgedacht. Auf Ihre Frage würde ich mit "Nein" antworten. Man muss das Publikum generell nicht vor Kunst warnen. Aber in diesem Fall ist der Text sehr explizit und man sollte das Publikum vorwarnen. Wer selbst schon einmal sexuelle Gewalt an sich erfahren hat, muss sich das nicht antun. Der Text kann auf manche Menschen retraumatisierend wirken.
Der Haupttitel heißt "Like Lovers Do". Zwischen der grausamen Archaik des Medusa-Stoffes und dem, was Liebende so machen, eröffnet sich ein weites Feld.
Die Autorin bezeichnet ihr Stück als einen Song, und bei manchen Songs heißt es "Dedicated to…". Der Abend ist den Lovern gewidmet, zum Beispiel "den Liebenden, die auf mir lagen". Viele Morde passieren in Beziehungen, die immer mit Liebe erklärt und damit relativiert werden. Da steckt im Titel schon ein kleiner Zynismus.
M<em>ünchner Kammerspiele</em>, Premiere am 9. Oktober, 19.30 Uhr, nächste Vorstellungen am 10. Oktober, 19.30 Uhr, 10., 17., 19., 24. Oktober, 20 Uhr, Telefon 23396600
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