"Les statues rêvent aussi": Simultan-Aufführung in München und Lomé

Die gleichzeitige Uraufführung eines Stücks in München und Lomé.
von  Michael Stadler
Hautnah dran an Prinzessin Yennenga und den Verwerfungen der Kolonialgeschichte: Martin Weigel (vorne), Ida Faho und Nancy Mensah-Offei (hinten, von links).
Hautnah dran an Prinzessin Yennenga und den Verwerfungen der Kolonialgeschichte: Martin Weigel (vorne), Ida Faho und Nancy Mensah-Offei (hinten, von links). © Armin Smailovic

Der Aufführungsbeginn verschiebe sich noch um ein paar Minuten, weil es in Lomé gerade regne, meint die Dame am Einlass der Therese-Giehse-Halle der Kammerspiele. Die Wetterverhältnisse in der Hauptstadt des westafrikanischen Togo sorgen auch für Verzögerungen in München – ein Kuriosum, das zum Stück "Les statues rêvent aussi. Vision einer Rückkehr" dazugehört und seinen Reiz auch ausmacht.

Simultan-Aufführung in München und Lomé

Denn für diese Mischung aus Performance, Puppenspiel, Tanz und Film haben sich die Kammerspiele und das in Lomé stattfindende Festival "La Fabrique de fictions" zusammengetan, um sie in einer Simultan-Aufführung in beiden Städten zu zeigen. Auf der Leinwand in der Therese-Giehse-Halle winkt einem das afrikanische Publikum zu, das gerade draußen im Garten des Musée Paul Ahyi in Lomé sitzt und offenbar keine Regenschirme mehr braucht. Umgekehrt sehen sie die Münchner winken – eine gut funktionierende Live-Übertragung und agile Kameraleute auf beiden Seiten machen es möglich.

Allein dieser Beginn, bei dem per Split-Screen weit entfernte Welten in ein gemeinsames Bild gebracht werden, erzeugt viel Freude, ja, das Theater kann nicht nur eine Gemeinschaft innerhalb einer Stadt, sondern auch zwischen Orten erzeugen, die tausende Kilometer weit entfernt voneinander liegen. Ob das Publikum in Lomé weiß, wo München liegt, will der in Lomé anwesende, launig moderierende Ramsès Alfa wissen, und er fragt natürlich auch über die Leinwand hinweg die Münchner, ob sie wissen, wo Lomé liegt. Einige Hände gehen hoch, andere schämen sich vielleicht ihres Unwissens.

Traum eines kreativen Austauschs zwischen den Kontinenten

Einen gewissen aufklärerischen Gestus haben die Regiearbeiten von Jan-Christoph Gockel, Hausregisseur an den Kammerspielen, eigentlich immer; die koloniale Geschichte und das heutige Verhältnis Europas zu den ehemaligen Kolonien beschäftigen ihn schon seit mehreren Jahren. Für diese Produktion, die auf Münchner Seite im Rahmen des Internationalen Figurentheaterfestivals wunder. uraufgeführt wurde, hat er gemeinsame Sache mit dem international renommierten burkinischen Tänzer und Choreographen Serge Aimé Coulibaly gemacht, wobei Coulibaly die letzten Probenwochen mit dem Team in München, Gockel wiederum mit dem Team in Lomé verbrachte.

Schon vom Ansatz her hat diese Produktion einigen Charme, weil sie dem Traum eines kreativen Austauschs zwischen den Kontinenten entschlossen nachgeht. Geträumt wird dann auch auf der Bühne, worauf der Titel "Les statues rêvent aussi" ja bereits hinweist, wobei in diesem Traum ein Schmerz liegt, den der europäische Kolonialismus ins kulturelle Gedächtnis Afrikas eingeschrieben hat.

Zahlreiche afrikanische Kulturgüter finden sich weiterhin im Besitz europäischer Museen, werden als "primitive Kunst" ausgestellt oder lagern in unterirdischen Depots. Einen solchen Museumskeller soll nun die Therese-Giehse-Halle darstellen, Bühnen- und Kostümbildnerin Julia Kurzweg hat dafür einige mit Holzkisten gefüllte Regale im Raum platziert. Im Dunkeln, durchbrochen von Taschenlampenlicht bewegt Tänzerin Ida Faho sich einmal wendig von Regal zu Regal, lauscht an den Kisten, aus denen vereinzelte Dinge – die Statue einer Fruchtbarkeitsgöttin, ein Bronzekopf aus Benin oder eine Tonschale – heraussprechen, von ihrer Gefangenschaft, Entwurzelung und Gebrochenheit erzählen.

Prinzessin Yennenga: Trennungsschmerz, unter dem ein ganzer Kontinent leidet

Die Objekte bekommen eine Stimme, werden damit zu Subjekten, von denen man sich nicht einfach distanzieren kann. Insgesamt soll möglichst viel Nähe an diesem Abend hergestellt werden: durch die Live-Übertragung, durch das Zusammenspiel der weit voneinander entfernten Teams, durch die Animation von Dingen und Figuren. Wie erbarmungslos die Zeit und der Fortschritt an einem Ausstellungsstück vorbeirasen können, wird einmal eindrücklich vor Augen geführt; die Kamera nimmt dabei die Perspektive des Exponats ein. Bebrillte Männer mit Zwirbelbärten inspizieren es prüfenden Blickes, später kommen die Touristen, knipsen es ab, zunächst mit Polaroid-Kameras, dann mit Handys.

Der Trennungsschmerz, unter dem ein ganzer Kontinent leidet, wird stellvertretend in eine fiktive Statue der legendären westafrikanischen Prinzessin Yennenga implantiert. Sie wurde einst von einer Pferde-Statue getrennt, weil die Kunsthändler aus Europa sich mit zwei einzelnen Objekten mehr Profit versprachen. Als Marionette ist die Yennenga-Statue im Museumsdepot anwesend, würdevoll und aufrecht bis in die Haarspitzen steht sie da, aus höchsten Höhen per Fäden in Bewegung gebracht. Ihr Pferd befindet sich hingegen in Lomé, als putzig kleine Figur, die zwischendurch über den Körper von Schauspielerin Nancy Mensah-Offei trippelt (Puppenbau: Yakouba Magassouba und Michael Pietsch).

Die beiden Getrennten wieder zusammenzubringen, ist die schier unmöglich scheinende Mission des Abends. Von Hindernissen, die sich der Rückführung der geraubten Kulturgüter in ihre afrikanische Heimat in den Weg stellen, spricht Martin Weigel in der Rolle des Museumsdirektors. Die genaue Herkunft der Objekte sei ja meistens unbekannt, zudem gebe es Zweifel und Sorgen, ob die Rückgaben dann auch "unter fachgerechten Bedingungen ausgestellt, beziehungsweise aufbewahrt" werden.

Der vorgeschobenen europäischen Skepsis steht der Furor entgegen, den Komi Togbonou bei einem live übertragenen Solo auf der Straße vor der Therese-Giehse-Halle entwickelt. "Wir, die Völker Afrikas und Menschen afrikanischen Ursprungs, fordern, dass unsere Kunstwerke, die unsere Geschichte verkörpern, unsere Zivilisation, unsere Religion und unsere Kultur uns sofort und ohne Bedingung zurückgegeben werden!", lautet der wütend vorgebrachte Restitutionsanspruch. Dem ist fast nichts mehr hinzuzufügen. Nur, dass dieser Abend zum Finale noch einiges an Magie entwickelte und alle Beteiligten, vor allem auch die technischen Teams, in Lomé wie München heftig beklatscht wurden.


Nächste Aufführungen am 21., 22., 23., 26. und 27. Oktober, jeweils 20 Uhr. www.figurentheater-gfp.de

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