Leos Janáceks Oper "Die Sache Makropulos" im Münchner Nationaltheater
Die Männer umkreisen diese kalt glühende Frau wie Motten eine Straßenlaterne im Sommer. Ihr überlanges Leben von 337 Jahren hat Emila Marty einsam und zynisch gemacht. Trotzdem – oder deshalb? – laufen ihr alle nach. Und sie verbrennen, erfrieren an ihr.
Dies darzustellen in Leoš Janáèeks „Die Sache Makropulos“ ist ein schwieriger Job für Primadonnen neuerer Prägung. Meist singen reifere dramatische Diven diese Marty: Die kühle, alterslose Anja Silja war darauf abonniert, im Nationaltheater vor einer kleinen Ewigkeit Hildegard Behrens.
Nun stellt Nadja Michael die Aufführungstradition endlich auf längere, schlankere und jüngere Beine: Ihre Marty könnte als ältere (und erheblich interessantere) Schwester von Alban Bergs Lulu durchgehen. Dass die Tochter des Leibarzts von Kaiser Rudolf II. am Ende ihrer Dreißiger aufhörte, zu altern, stand schon immer irgendwo im Textbuch. Aber erlebt werden kann es erst jetzt im Münchner Nationaltheater.
Blonde Femme fatale
Nadja Michael erscheint blond in enger schwarzer Hose, figurbetontem Shirt und einer Lederjacke. Sie zeigt mehr Körper, später auch Fleisch als ihre Vorgängerinnen. Aber dies keinesfalls als Selbstzweck: Die Erotik dieser Femme fatale bleibt kalt wie Eis. Denn diese 1925 in Brünn uraufgeführte Oper handelt von Einsamkeit, Lebensüberdruss und dem Verlust von Identität.
Das alles ist sofort da, wenn dieses weibliche Gesamtkunstwerk die Bühne betritt. Natürlich hört da das Auge mit: Die natürliche Bühnen-Autorität der Sopranistin geht im Gesang auf. Stärken wie ihre dramatisch-stählerne Stimme und den unglaublichen Umfang stellt sie ebenso in den Dienst eines faszinierenden Rollenporträts wie ihre Registerbrüche. Jede Umbesetzung würde diese Aufführung im Kern zerstören.
Von den kleinsten bis zu den großen Rollen exzellent besetzt
Die Bayerische Staatsoper serviert dazu von Peter Loberts profundem Theatermaschinisten über Heike Grötzingers Aufräumefrau bis zum Vítek von Kevin Conners und Pavel Èzernochs Albert Gregor ein Ensemble, das darstellerisch wie sängerisch besser kaum denkbar scheint. Von der kleinsten bis zur größten Rolle stimmt hier alles. Der einstige Wagner-Held Reiner Goldberg hat berührend komische Auftritte als alter Hauk-Šendorf, der einmal nicht zur Karikatur herabgewürdigt wird. John Lundgren erinnert als gewaltmenschenmäßiger Jaroslav Prus nicht ganz zufällig an Dr. Schön aus der „Lulu“, weil er ein ähnliches Sensibelchen als Sohn gezeugt hat (Dean Power als Janek).
Heftige, harte Paukenschläge bedrängen gleich zu Beginn das Trommelfell des Hörers. Unmissverständlich stellen der Dirigent Tomáš Hanus und das wie immer exzellente Bayerische Staatsorchester klar, dass sie Janáèeks herbe Modernität und nicht seine slawische Seele suchen. Die Musik stampft ekstatisch und widerborstig, wo andere Interpreten noch Spuren böhmischer Gemütlichkeit erkennen wollen. Wie auf der Bühne glüht auch im Graben eine eiskalte Erotik. Dass altgewohnte, eher weiche Tempoübergänge fehlen und manches noch herber als gewohnt klingt, mag mit der kritischen Ausgabe zu tun haben, die Hanus erarbeitet hat. Wie auch immer: Wilder und fremder, aber auch faszinierend barbarischer tönte diese Musik selten.
Details und kleine Gesten
Árpád Schillings Inszenierung widmet sich den Figuren mit hingebungsvoller Liebe, Details und kleinen Gesten – und das überzeugender als in seinem umstrittenen „Rigoletto“. Der Ungar macht in sprechenden Arrangements die Oberfläche der Geschichte deutlich: Den Erbschaftsstreit und das Konversationsstück verstand man nie besser. Aber auch die Abgründe und psychologischen Gletscherspalten klaffen tief. Selbst die Komödie ist da, wenn alle von der Marty touchierten Herren den Flatterer kriegen und ihre erregte Scham bedecken müssen. Nur das Bühnenbild von Marton Ágh wirkt einen Hauch zu dekorativ.
Am Ende kriegt die junge Sängerin Krista (Tara Erraught) jenes Rezept, das der Marty 337 Jahre Unsterblichkeit sicherte. Anders als bei Janáèek lässt sie es unverbrannt. Sie steigt ins vom Bühnenhimmel herabsinkende Eisgebirge der Karrieren-Gefühlskälte hinauf. Die Marty fährt wie Don Giovanni zur Hölle. Warum da peitschenschwingende Muskelmänner auftreten müssen, teilt sich auf Anhieb nicht unmittelbar mit. Aber sofort wächst die Lust, sich diese faszinierende Aufführung ein zweites Mal anzusehen, um es doch noch zu kapieren.
Wieder am 22., 26., 29. 10. und am 1. 11. im Nationaltheater. Karten Telefon 2185 1920. Die Aufführung wird am 1. November als Livestream kostenlos ins Internet übertragen