"Le nozze di Figaro" - eine fabriksüße Mozartkugel

Viele Nebensachen, keine Substanz: Dan Ettinger und Sven-Eric Bechtolf setzen in Salzburg Mozarts Oper „Le nozze di Figaro“ in den Sand.
von  Robert Braunmüller

Salzburg - Clemens Krauss, Bruno Walter, Karl Böhm, Herbert von Karajan und Nikolaus Harnoncourt haben vergangene Salzburger Premieren von „Le nozze di Figaro“ dirigiert. Nun reiht sich Dan Ettinger da ein, der wackere Generalmusikdirektor von Mannheim. Und den ganzen Abend fragt man sich: Warum nur?

Die Wiener Philharmoniker spielen wie in einer beliebigen Repertoirevorstellung der Wiener Staatsoper. Und zwar ohne Verständigungsprobe. Eine Interpretation? Nein. Die Tempi sind lahm, die Musik schnurrt vor sich hin. Ettinger tanzt geschäftig am Dirigentenpult, dirigiert den Sängern hinterher und begleitet die Rezitative ganz hübsch am Hammerklavier. In den umliegenden Hotels weilt mindestens ein Dutzend Dirigenten, die als Einspringer eine interessantere Aufführung zustande brächten.
Auf der Bühne von Alex Eales gibt es allerliebste Dinge zu sehen: erst zwei Schloss-Querschnitte durch viele Zimmer und Stockwerke, später eine Küche samt Weinkeller und tausend Kannen, zuletzt eine charmant angeranzte Orangerie. Und in den angeschnittenen Wänden liegen die Wasserleitungen offen. Man kriegt richtig was für sein Geld.

In dieser Pracht ist ständig was los: Basilio durchschnüffelt im Regenmantel Susannas Schlafzimmer, während die im Durchgangszimmer unter der Treppe mit Figaro das Bett aufbaut. Schon im ersten Akt leidet die Gräfin stumm in ihrem Badezimmer. Cherubino kriecht durch einen Versorgungsschacht, und Barbarina sitzt während des zweiten Finales auf dem Dachboden neben einem alten Kinderwagen. Der ersetzt mit erhobenem Zeigefinger die sonst fehlende Psychologie der Klamotte: Mit Nachwuchs wäre die Ehe des Grafen vielleicht noch intakt.

Wer eigentlich lieber fernsehen will, wird hier bestens bedient

Der inszenierende Interims-Festspielchef Sven-Eric Bechtolf hat anscheinend Angst davor, dass Mozarts Musik langweilig werden könnte. Er päppelt sie mit tausend stummen Nebenhandlungen auf. Das ist sehr virtuos gemacht. Man zieht den Hut vor so viel Handwerk. Nur: Wozu? Was bringt es? Nichts als eine polierte Oberfläche.

Dieser „Figaro“ spielt in Merry Old England um 1920. Im Salzburger Haus für Mozart wird das „Haus am Eaton Place“ nachgespielt. Oder „Downton Abbey“. Da irrlichtert keine Französische Revolution, kein Ancien Régime klappert mit den morschen Knochen. Figaro zieht vielleicht mal die Pistole, der Graf fuchtelt mit dem Jagdgewehr. Aber sonst sind alle nett zueinander. Eine Aufführung, pappsüß wie eine Mozartkugel aus der Fabrik.

Das internationale Publikum“ fand die Aufführung „charming“ und „marvellous“. Endlich mal kein Eurotrash und kein Regietheater. Wer ohnehin lieber fernsehen will, den bedienen die Salzburger Festspiele reell. Nur kostet es halt etwas mehr als die Haushaltsgebühr. Dass der nette Herr Ettinger Mozart zu diesem Türklapp-Boulevard wie Paisiello klingen lässt, trifft sich gut.

Typ-Casting bei den Sängern

Gespielt wird die Normalfassung ohne die Arien von Bartolo, Basilio und Marcellina – obwohl für die Rolle der komischen Alten immerhin Ann Murray aufgeboten wird. Die Sänger sind überwiegend nach Typ besetzt. Luca Pisaroni macht aus dem Grafen einen studierten Schwerenöter mit Hornbrille. Adam Plachetka singt den Figaro kraftvoll und etwas vierschrötig. Annett Fritsch gibt die erste Arie der Gräfin leicht flackrig mit Migräne im Bett. Martina Janková legt die Susanna eher bodenständig an, Christina Gansch macht aus der Barbarina fast einen Trampel. Und Margarita Gritskova ist so gut wie alle Cherubinos. Aber niemand berührt, bewegt oder erschüttert.

Ist es wirklich sinnvoll, die drei großen Musikkomödien Mozarts als Zyklus vom gleichen Regisseur einstudieren zu lassen? Aber wenn, dann sollte das Unternehmen für Salzburg so wichtig sein wie der „Ring“ in Bayreuth. Schon im Vorfeld war der Dirigent Franz Welser-Möst mit Getöse abgesprungen. Christoph Eschenbach setzte „Così fan tutte“ und „Don Giovanni“ in den Sand. Man vermisst ihn fast, denn er störte weniger. Und das will was heißen.

Wieder am 2., 5., 9., 12., 15. und 18. August im Haus für Mozart. Infos zu Karten unter www.salzburgfestival.at. ServusTV überträgt die Aufführung am 9.8. ab 17.55 Uhr

 

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