Kritik

"La mer sombre": Genderfluider Slapstick in der Wanne

Pınar Karabuluts Inszenierung von "La mer sombre" von Claude Cahun im Werkraum der Kammerspiele.
von  Mathias Hejny
Gro Swantje Kohlhof und Christian Löber in der Wanne.
Gro Swantje Kohlhof und Christian Löber in der Wanne. © Krafft Angerer

München - Alles so schön pink hier! Bühnenbildnerin Aleksandra Pavlovic verwandelt den Werkraum zum Beginn der neuen Spielzeit in einen üppig floral wuchernden Garten der Lüste mit vielen Schattierungen von Rosa.

Claude Cahun: Mit ihrer Befragung von geschlechtlicher Identität war sie ihrer Zeit voraus

Hier trifft sich ein Trio, das schon sehr fortgeschritten dabei ist, kleinliche Geschlechterzuschreibungen hinter sich zu lassen. Gro Swantje Kohlhof, Thomas Hauser und Christian Löber tragen - von Claudia Irro entworfene - hautenge und raffiniert geschlitzte Trikots sowie sehr ähnlich frisiertes schwarzes Haar. Dabei raunen, flirten, nörgeln und schreien sie sich Texte des französischen Symbolismus zu.

Sowohl Autor als auch Autorin der literarischen Bruchstücke, die das ganze Ensemble gemeinsam mit Regisseurin Pınar Karabulut und Dramturgin Olivia Ebert zur Collage "La mer sombre" zusammentrugen, ist Claude Cahun. Die als Lucy Schwob 1894 in Nantes geborene Künstlerin aus einer Familie, die mit Zeitgenossen wie André Breton oder Oscar Wilde verkehrte, war Schriftstellerin, Schauspielerin und Fotografin. Mit ihrer Befragung von geschlechtlicher Identität war sie ihrer Zeit um Generationen voraus.

Schon in den 20er-Jahren schrieb sie in einer Zeitschrift für ein lesbisches und schwules Lesepublikum: "Meine Ansicht über die Homosexualität und die Homosexuellen ist genau die gleiche wie meine Meinung über Heterosexualität und die Heterosexuellen: Alles hängt vom Individuum und den Umständen ab. Ich trete für die allgemeine Freiheit der Sitten ein."

Karabuluts Inszenierung ist nicht ohne sympathisch entrückte Verträumtheiten

Es erstaunt nicht, dass Cahun erst posthum seit den 80er-Jahren als Visionärin entdeckt wurde. Bei der noch bis November laufenden Biennale in Venedig ist derzeit ihr fotografisches Werk in einer "Zeitkapsel" im Hauptgebäude der Giardini zu besichtigen.

Karabuluts Inszenierung ist vor allem ein Zustand, der nicht ohne sympathisch entrückte Verträumtheiten ist. Aber schon mit ihrem vorigen Projekt "Like Lovers Do", als es um sexuelle Gewalt ging, entsorgte sie das triftige Thema in aufgekratztem Girlieglamour. "La mer sombre", das dunkle Meer, ist nun der endgültige Fluchtort in surrealistisch daherkommende Unverbindlichkeiten. Mitunter passieren Sätze wie "Kunst ist Revolution", die freilich folgenlos bleiben. Das "Gordische Kuddelmuddel", von dem die Rede ist, bleibt, was auch immer es ist.

Die drei ganz netten Transgender-Wesen auf der Bühne wirken manchmal ein wenig unbeholfen. Aber glücklicherweise haben gendermäßig unzweifelhafte Bühnenarbeiter souveräne Auftritte. Die ohnehin nutzlos gebliebenen orientalesken Versatzstücke werden vom maßvoll triebhaften Treiben völlig unbeeindruckt vom Aufbaupersonal entfernt, um Platz für eine Badewanne zu schaffen.

Warum bei der folgenden Schaumbadparty in aller unschuldigen Slapstickhaftigkeit eine Ins-Gesicht-Sahnetorte zum Einsatz kommt, will im ratlosen Publikum nach der einstündigen Darbietung vermutlich niemand mehr wirklich wissen.


Münchner Kammerspiele, Werkraum, wieder am 6., 17., 18. Oktober, 20 Uhr, Telefon 233 9600

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