Kritik

Kunst und Krempel: Der neue "Tristan" der Bayreuther Festspiele

Das Publikum feiert in der Premiere von "Tristan und Isolde" Camilla Nylund und Andreas Schager als neues Wagner-Traumpaar
Robert Braunmüller |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Ist das nicht links oben der Münchner Friedensengel? Olafur Sigurdarson (Kurwenal, von links), Birger Radde (Melot), Andreas Schager (Tristan), Günther Groissböck (Marke), Camilla Nylund (Isolde), Christa Mayer (Brangäne) gegen Ende des zweiten Aufzugs im Trödelladen der Bühne von Vytautas Narbutas für "Tristan und Isolde" in Bayreuth.
picture alliance/dpa/Bayreuther Festspiele 6 Ist das nicht links oben der Münchner Friedensengel? Olafur Sigurdarson (Kurwenal, von links), Birger Radde (Melot), Andreas Schager (Tristan), Günther Groissböck (Marke), Camilla Nylund (Isolde), Christa Mayer (Brangäne) gegen Ende des zweiten Aufzugs im Trödelladen der Bühne von Vytautas Narbutas für "Tristan und Isolde" in Bayreuth.
Der Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson vor dem Festspielhaus in Bayreuth.
picture alliance/dpa 6 Der Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson vor dem Festspielhaus in Bayreuth.
Camilla Nylund (Isolde, l) und Andreas Schager (Tristan) im 1. Aufzug.
picture alliance/dpa/Bayreuther Festspiele 6 Camilla Nylund (Isolde, l) und Andreas Schager (Tristan) im 1. Aufzug.
Christa Mayer (Brangäne, vorne, von links) und Camilla Nylund (Isolde) sowie Olafur Sigurdarson (Kurwenal, hinten), Andreas Schager (Tristan) und Matthew Newlin (Junger Seermann) im 1. Aufzug.
picture alliance/dpa/Bayreuther Festspiele 6 Christa Mayer (Brangäne, vorne, von links) und Camilla Nylund (Isolde) sowie Olafur Sigurdarson (Kurwenal, hinten), Andreas Schager (Tristan) und Matthew Newlin (Junger Seermann) im 1. Aufzug.
Semyon Bychkov.
IMAGO/CTK Photo 6 Semyon Bychkov.
Andreas Schager (Tristan, vorne, links) und Camilla Nylund (Isolde) sowie Daniel Jenz (Ein Hirt, hinten), Lawson Anderson (Ein Steuermann) und Olafur Sigurdarson (Kurwenal) im 3. Aufzug.
Enrico Nawrath (Bayreuther Festspiele) 6 Andreas Schager (Tristan, vorne, links) und Camilla Nylund (Isolde) sowie Daniel Jenz (Ein Hirt, hinten), Lawson Anderson (Ein Steuermann) und Olafur Sigurdarson (Kurwenal) im 3. Aufzug.

Bayreuth - Eine gute Stunde lang passiert nicht viel. Semyon Bychkov blättert brav Partiturseite um Partiturseite von Wagners "Tristan" um. Seine Sicht auf Wagners "Tristan" steckt so im zähen Klangbrei des Orchesters fest wie auf der Bühne Isolde in ihrem Brautkleid, das an einen gestutzten Vogel erinnert. Dann schmettert Andreas Schager mit Urgewalt den Trinkspruch auf den vermeintlichen Todestrank: "Wohl kenn' ich Irlands Königin". Man ist elektrisiert, es stellt sich Spannung ein, eine Ahnung von Leiden und Leidenschaft kommt auf.

Camilla Nylund (Isolde, l) und Andreas Schager (Tristan) im 1. Aufzug.
Camilla Nylund (Isolde, l) und Andreas Schager (Tristan) im 1. Aufzug. © picture alliance/dpa/Bayreuther Festspiele

Aber der schneidig und bisweilen auch schneidend singende Schager ist zugleich auch eines der nicht geringen Probleme dieser Aufführung. Niemand hat die kräftezehrendste aller Tenorrollen in den letzten Jahren müheloser und strahlender gesungen. Aber darin erschöpft sich Schagers naturburschenhafte Deutung. Musikalische Nachdenklichkeit interessiert ihn weniger, leise Stellen auch nicht. Und von einer intelligenten Textausdeutung wollen wir gar nicht erst sprechen.

Scheppern gegen Ende

Der existenzielle Schmerz des Leidens an der Liebe, zu dem der stimmlich viel schwerere Stephen Gould an guten Abenden vorstieß, bleibt Schager auch in der elften "Tristan"-Premiere seiner Karriere verschlossen. Ganz am Ende schepperte es in der Premiere auch so gewaltig, dass man sich fragt, ob das wirklich so gesund ist, was Schager treibt. Klug ist es jedenfalls nicht, und rücksichtsvoll gegenüber seiner Bühnenpartnerin Camilla Nylund noch weniger.

Andreas Schager (Tristan, vorne, links) und Camilla Nylund (Isolde) sowie Daniel Jenz (Ein Hirt, hinten), Lawson Anderson (Ein Steuermann) und Olafur Sigurdarson (Kurwenal) im 3. Aufzug.
Andreas Schager (Tristan, vorne, links) und Camilla Nylund (Isolde) sowie Daniel Jenz (Ein Hirt, hinten), Lawson Anderson (Ein Steuermann) und Olafur Sigurdarson (Kurwenal) im 3. Aufzug. © Enrico Nawrath (Bayreuther Festspiele)

Die Finnin ist ein typischer jugendlich-dramatischer Sopran, keine typische Hochdramatische. Das verleiht ihrer Isolde Frische. Lyrische Passagen wie am Beginn des zweiten Akts gelingen schön. Die höhnische Ironie des ersten Akts bleibt ihr hingegen verschlossen, der Liebestod strömt nicht und wirkt eher buchstabiert. Das mag einer verständlichen Premierennervosität geschuldet sein. Die mangelnde Wortverständlichkeit rechtfertigt es nicht.

Die Geschmäcker sind verschieden

Das Premierenpublikum bejubelte Nylund und Schager als neues Wagner-Traumpaar. Zweifel müssen vorerst erlaubt bleiben. Nach dem zweiten Akt äußerte jemand lautstark und ungerecht Widerspruch gegen den schlank, aber auch forciert singenden Bassisten Günter Groissböck. Der ruppig und provinziell singende Kurwenal (Olafur Sigurdarson) gefiel seltsamerweise den gleichen Connaisseuren, die mit schönen Momenten durch die Brangäne flackernde Christa Mayer auch. So verschieden sind die Geschmäcker.

Christa Mayer (Brangäne, vorne, von links) und Camilla Nylund (Isolde) sowie Olafur Sigurdarson (Kurwenal, hinten), Andreas Schager (Tristan) und Matthew Newlin (Junger Seermann) im 1. Aufzug.
Christa Mayer (Brangäne, vorne, von links) und Camilla Nylund (Isolde) sowie Olafur Sigurdarson (Kurwenal, hinten), Andreas Schager (Tristan) und Matthew Newlin (Junger Seermann) im 1. Aufzug. © picture alliance/dpa/Bayreuther Festspiele

Einigkeit dürfte hingegen über den Dirigenten bestehen, bei dessen Erscheinen der Beifall abkühlte. Bychkov begann das Vorspiel mit raumgreifenden, weiten Crescendi, die einen aufregend neuen Ansatz erhoffen ließen. Aber schon der Höhepunkt des Vorspiels blieb matt, der Klang breiig. Dann begleitete der Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie die Sänger überraschend kapellmeisterlich, was in seinen Konzerten normalerweise nicht vorkommt. Wie bei Schager fehlte Bychkovs Deutung die existenzielle Dimension und das Abgründige, für eine strukturell-nüchterne Deutung blieb die klangliche Seite viel zu konventionell.

Es ist nicht die Akustik, es ist der Dirigent

In den Pausen waren vielfach Klagen über die Akustik zu hören. Aber es liegt keineswegs am versenkten Orchester und der Klangblende, wenn das Blech durchwegs zu weit entfernt wirkt und Tristans Schmerz im Orchester nicht schneidet. Dem kurzfristig eingewechselten, viel weniger prominenten Markus Poschner gelang vor zwei Jahren auf Anhieb eine viel deutlichere, klarere Interpretation.

Semyon Bychkov.
Semyon Bychkov. © IMAGO/CTK Photo

Eine Inszenierung gab es auch, und von der ist hier nicht zufällig erst ganz zuletzt die Rede. Thorleifur Örn Arnarsson bietet zwei starke Bilder auf: die in ihrem mit Schlüsselworten aus dem Text gefangenen Brautkleid und das mit Kunst und Krempel aller Art gefüllte Schiffswrack des zweiten Akts. Im dritten Teil war das Wrack demontiert und der Kram auf einen Haufen geschichtet.

Der Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson vor dem Festspielhaus in Bayreuth.
Der Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson vor dem Festspielhaus in Bayreuth. © picture alliance/dpa

Müsste nicht, wenn es dem Regisseur auf die Last der Vorgeschichte ankäme, der Trödel in den ersten Akt verfrachtet werden? Und sollte in einem Bühnenbild (Vytautas Narbutas) nicht auch etwas passieren?

Alles schon zu oft gesehen

Arnarsson ließ bei Tristan und Isolde den Text für sich sprechen. Erotisches ereignete sich jenseits einer Umarmung nicht. Melot stolzierte eitel herum, Marke wirkte komplett fertig. Alle waren irgendwie am Ende und kaum am Gegenüber interessiert, was bei diesem Musikdrama keine neue Nachricht ist. Und das löst beim Zuschauen nicht einmal ein Achselzucken aus.

Die Schwärze und Verzweiflung dieser Oper über verhängnisvolle Begehren haben andere Regisseurinnen und Regisseure - Katharina Wagner eingeschlossen - auf dieser Bühne schon energischer erzählt. Und so liegt die Last der Vergangenheit, die den Regisseur nach eigener Aussage an den Figuren interessiert, auch knüppeldick über seiner Inszenierung.

Die Bayreuther Festspiele dauern bis zum 27. August. Infos über kurzfristig freiwerdende Karten unter bayreuther-festspiele.de, ein Stream der Premiere auf www.br-klassik.de

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.