"Ku'damm 56" kommt ins Deutsche Theater - als Musical
Na, dir scheint es ja gut zu gehen, so wie du zugenommen hast." Oder: "Meinst du, dass sich Männer für dich interessieren, wenn du in so schlampigen Klamotten daherkommst." Oder: "Die langen Haare standen dir ja viel besser." Es gibt sie in jeder Familie - Tanten, Omas, Schwiegermütter, die vergiftete Komplimente machen oder gleich ganz gradheraus ihre Spitzen abfeuern.
Und obwohl sie mit ihrer Art verletzen, brauchen sie und ihre Schicksale ein musikalisches Denkmal - finden Annette Hess, Peter Plate und Ulf Leo Sommer. Deshalb haben sie einen dreiteiligen ZDF-Film "Ku'damm 56" für die Bühne adaptiert. Das gleichnamige Musical" erzählt von so einer drachenhaften Mutter-Figur: Caterina Schöllack, die im Berlin der Nachkriegszeit mit einer Tanzschule ihre Töchter Helga, Eva und Monika durchbringen muss und sie am liebsten schnellstmöglich unter die Haube bringen will. Aber was wollen eigentlich die sehr unterschiedlichen jungen Frauen?
Schon für die Fernsehserie hat sich die Drehbuchautorin Annette Hess an ihre Mutter zurückerinnert, die immer wieder von einer "unmöglichen Monika" erzählte, die sie in Teenietagen zur Freundin hatte. Sie wollte der biederen Enge der 50er Jahre etwas entgegensetzen und wurde zum Elternschreck: ein früher Punk im Petticoat, der sich in die Rock'n'Roll-Welle hineinschmeisst.
So eine rebellische Tochterfigur wollte Hess zu ihrer Protagonistin machen. Und obwohl sie beim Schreiben der Serie im Kopf hatte, dass sich der Tanzschul-Kosmos wegen der vielen Musik für eine Adaption als Musical eignet, konnte sie sich das so lange nicht wirklich vorstellen, bis sie mit Peter Plate und Ulf Sommer zusammensaß.
Eine traumatisierte Gesellschaft und die Folgen bis heute
Die beiden Musiker von Rosenstolz, die zuvor die "Bibi & Tina"-Filme in eine Bühnenshow verwandelt hatten, waren Fans der TV-Filme. Sie erzählten einander von ihren Caterina-Schöllack-haften Großmüttern. Und davon, was die Generation von Frauen nach dem Krieg geleistet hatte und woher all die emotionale Kälte kam, die diese Frauengeneration als Selbstschutz-Panzer um sich gelegt hatte. Es war eine Zeit ab abwesender oder versehrter Väter, eingeschränkter Lebensentwürfe, in der sich niemand eine eigene weibliche Sexualität vorstellen konnte. Zuneigung und Verständnis kamen zu kurz, was Traumata erzeugte, deren Auswirkungen wir bis in die heutigen Generationen hinein spüren, wenn wir merken, dass es blinde Flecken in Familiengeschichten gibt.
"Also gut", dachte Autorin Annette Hess, die bis dahin die Nase gerümpft hatte, wenn es um deutsche Popmusik ging. Sie ließ sich überzeugen, kondensierte 360 Seiten Drehbuch und setzte Schwerpunkte neu. In vielen Gesprächen loteten die drei Kreativen auch aus, wie die junge Monika auf der Bühne mit ihrer Vergewaltigung umgehen soll. Sie muss erleben, wie ein junger Mann glaubt, er kann sich auch gegen ihren Willen nehmen, was er will.
Wofür Annette Hess im Drehbuch 40 Seiten brauchte, dafür reicht jetzt ein Lied. Monika singt von ihrem Erlebnis und ihrem Schmerz. Hinter ihr setzt ein ganzer Chor von Mädchen ein. Allen wird klar: Das ist ein kollektiver Schmerz!
Aber auch wenn Serie und Musical harte Themen verhandeln, bleibt auch viel Raum für Humor. Und für die deutsche Musikgeschichte. Jede Figur hat ihren eigenen Stil: Drama-Queen Caterina die Operette, die gutmütige, biedere Helga der Schlager und die rebellische Monika Rock'n'Roll.
Peter Plate und Ulf Sommer konnten das tun, was sie am Liebsten machen: Lebensentwürfe und den Coming-of-Age-Prozess musikalisch zu beschreiben und Musik für Frauen, für Diven zu schreiben. Ein Fußballmusical, in dem nur Männer singen, würden sie auch für viel Geld nicht schreiben wollen und können.
Homosexualität als Krankheit?
Im Frauenkosmos "Ku'Damm 53" sind Männer Nebenfiguren. Trotzdem bringen sie zentrale Themen ein: Helgas Zukünftiger, Wolfgang, verurteilt als Staatsanwalt queere Männer, fühlt sich aber selbst zu ihnen hingezogen. Er versucht sich, von einem befreundeten Arzt "kurieren" zu lassen, wie von einem Husten, denn Homosexualität gilt als Krankheit. Und so findet sich die ganze Ambivalenz der jungen Bundesrepublik auf der Bühne im Deutschen Theater. Erzählt wird von einer Tanzschule in einer Berliner Prachtstraße - aber mit dem Ziel, unabhängig von Ort und Person den Kern einer jeden Familie dieser Jahre auszuleuchten.
Letztendlich war es für Annette Hess auch nicht so notwendig, dass das Ganze in Berlin spielt. 1956 brach der Rock'n'Roll überall in Deutschland aus. Überall gibt es Familien, die sich in den Figuren der Geschichte wiederfinden. Und Generationen von Frauen entdecken, was sie verbindet und was sie trennt. Auch in München.
Premiere am Donnerstag, den 30. November im Deutschen Theater. Weitere Vorstellungen bis 17. Dezember, www.deutsches-theater.de
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