Kritik

Komödie "Der Sittich" : Fernsehlieblinge im Ehe-Ringkampf

Im Stile eines französischen Boulevardtheaters und mit viel Schlagfertigkeit inszeniert Bernd Schadewald "Der Sittich" von Audrey Schebat in der Komödie im Bayerischen Hof.
von  Mathias Hejny
Sie (Michaela May) und er (Krystian Martinek) im Beziehungsstress in der Komödie "Der Sittich" am Bayerischen Hof.
Sie (Michaela May) und er (Krystian Martinek) im Beziehungsstress in der Komödie "Der Sittich" am Bayerischen Hof. © Alvise Predieri

München - Sie waren jung, als sie eine gemeinsame Kanzlei eröffneten und feierten zwischen den Umzugskartons mit Rotwein von der Tanke, den sie aus Kaffeetassen tranken. Dazu sang Charles Aznavour. Erst verliebten sie sich und dann heirateten sie. Regisseur Bernd Schadewald hat diese Szene aus besseren Zeiten hinzugefügt, um einerseits den sehr knappen Text von Audrey Schebat ein wenig zu verlängern, um aber andererseits auch zu erzählen, was es einst war, das dieses Paar zusammenbrachte.

Komödie über den Alltag einer Ehe

Wenn die Konversationskomödie "Der Sittich" beginnt, ist diese Anziehungskraft nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar, auch wenn man sicher ist, dass "die Liebe kein Virus" ist, der irgendwann wieder verschwindet. Es herrscht zwischen dem Paar die seit Jahrzehnten eingeübte Routine einer nicht mehr ganz jungen und bestens situierten Familie. Die Kinder sind längst aus dem Haus, er geht täglich seinen Geschäften als Rechtsanwalt nach, sie stieg aus dem Beruf der Kinder wegen aus und nie wieder ein. Sie tragen keine Namen und bleiben "Sie" und "Er".

Man erwartet ein anderes Paar zum Abendessen, das Namen trägt: Catherine ist ihre beste Freundin, die sich gerade mit einer Ziervogel-Handlung selbständig gemacht hat, David ist sein gleichfalls eng befreundeter Geschäftspartner. Die Gäste werden nicht erscheinen, aber genau deshalb werden sie zur Projektionsfläche für all das, was in der eigenen Beziehung schief läuft. Was war denn genau mit dem Einbruch bei den Freunden heute Abend? Wo steckt eigentlich Catherine? Hat sie in Wirklichkeit David verlassen und er weiß das noch nicht?

Modernes Boulevardtheater aus Frankreich am Bayerischen Hof

Ganz allmählich entwickelt Schebat aus der überschaubaren Ausgangssituation einen schließlich undurchdringlichen Verhau aus Vermutungen, Missverständnissen und Spekulationen sowie vorsätzlichen Lügen und überraschenden Geständnissen. Das macht die Autorin mit all der Perfidie, wie man sie beim modernen Boulevardtheater aus Frankreich lieben gelernt hat, auch wenn sie nicht, wie ihre berühmtere Kollegin Yasmina Reza, gleich den "Gott des Gemetzels" beschwört.

Schlagfertige Komödie mit viel Unterhaltung

Die Dialoge sind fein dem richtigen Leben abgelauscht und mit sprühendem Witz komponiert. Mit dem Fortgang der Debatte wachsen sowohl der Furor als auch die Schlagfertigkeit und damit der Unterhaltungswert dieser etwas anders konstruierten Komödie. Der Wellensittich ist hier das Bild für die Gattin im goldenen Käfig, die sich kommod selbst verloren hat: "Ich weiß nicht mehr, wann ich mich mit einer Nebenrolle in deinem Leben begnügt habe", erklärt sie ihrem Mann, als sie einen schwerwiegenden Entschluss fasst.

Fernsehlieblinge mit Unsicherheiten bei Premiere

Im Ehe-Ring treten zwei Fernsehlieblinge gegeneinander an: Michaela May und Krystian Martinek. Beide sind schon fast beziehungsweise über 70, geben ihren Figuren aber einen frischen und beinahe jugendlichen Charme mit auf ihren Weg. Zur Münchner Premiere zeigten sie im ersten Teil allerdings auffällige Unsicherheiten, die möglicherweise mit der pandemiebedingen 75-prozentigen Leere in der Komödie im Bayrischen Hof erklärbar sind. Aber nach der Pause legen May und Martinek ordentlich noch ein paar Baguettes nach und schaffen sogar eine raffinierte Balance aus boulevardeskem Esprit und einem Hauch von Ibsen.


Komödie im Bayerischen Hof, bis 6. März, 19.30 Uhr, sonntags 18 Uhr, Telefon 29161633

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