Köck-Uraufführung in den Kammerspielen: Die Welt nach dem Untergang

München - Nachdem man sich durch die ersten 140 Seiten von Thomas Köcks neuem Stück "eure paläste sind leer (all we ever wanted)" gekämpft hat, durch klein geschriebene Wortkaskaden ohne Punkt und Komma, durch kürzere, lyrische Passagen und Figurenreden, die auf Regieanweisungen folgen, immer wieder zappend zwischen abstrakten Gedanken und konkreten Situationen - wenn man das alles also geschafft hat, dann listet der österreichische Dramatiker auch noch eine zehnseitige Song-Playlist auf, nicht ohne zuvor eine Botschaft ans Theater zu senden: "vielen dank auch/an die münchner kammerspiele/für diesen stückauftrag/ich hab euch ja gewarnt".
Dass er bei der ersten Lektüre nicht unbedingt alles verstand, gibt Bernardo Arias Porras freimütig zu: "Ich habe mir dann auch gedacht: O Gott, ich möchte hier nicht der Regisseur sein. Wie soll man das denn inszenieren?" Der Regisseur, das ist Jan-Christoph Gockel, der Köcks furioses Wucherwerk mit Porras und fünf weiteren Ensemblemitgliedern, zwei Musikern und einer Schar von Puppen in den Kammerspielen uraufführt.
Bernardo Arias Porras: "Blick aus der Zukunft auf die Menschheitsgeschichte"
Sie hätten das Stück in den ersten zwei Probenwochen "wie in einem assoziativen Rausch durchskizziert", erzählt Bernardo Arias Porras. "Wir sind auf der Bühne herumgesprungen, haben Ideen entwickelt." Und klar, ein paar rote Fäden lassen sich aus dem Köckschen Sprachdschungel dann doch herausfieseln - vor allem eine Hauptfigur, die er zwar nicht direkt benennt, die aber immer wieder als "Ich" auftaucht und Orientierung gibt.
Als "Teiresias" bezeichnet Porras diese Figur: "Teiresias läuft durch den titelgebenden Palast und blickt aus der Zukunft auf die Menschheitsgeschichte zurück. Es ist also schon alles geschehen, der Palast ist jetzt leer, nur noch er ist übrig. Dass die Welt den Bach runter gehen wird, hat er prophezeit, das war und ist sein Job, mit Beratung hält er sich über Wasser. Im Prinzip hat er aber damit nur die Position der Mächtigen aufrechterhalten. Er selbst hat nie eingegriffen."
Porras über "eure paläste sind leer": "Es ist ein verdammt witziger Text"
Eine Kritik am Opportunismus der Machthaber und vor allem der Passivität ihrer Untergebenen steckt in dem Stück, ohne dass es in eine allzu moralische Anklage abdriftet.
"Es ist ja ein verdammt witziger Text", findet Porras. "Dennoch kommt immer wieder die Frage auf, warum wir den Weltuntergang nicht verhindern, obwohl wir ihn voraussehen. Wir konnten das ja ähnlich gerade wieder beim Klimagipfel in Glasgow verfolgen: Alle kennen die Fakten, gehen dann mit bestimmten Plänen in die Verhandlungen und kommen zwei Stunden später mit deutlich herabgesetzten Zielen wieder heraus."
Der Blick von Teiresias auf seinem Weg durch das verlassene Herrschaftshaus geht zurück bis ins 16. und 17. Jahrhundert, als spanische Konquistadoren auf Eroberungszug in Mittel- und Südamerika gingen und dabei nach dem legendären El Dorado suchten. Schon hier zeigt Köck auf, wie Menschen wider besseren Wissens handeln: "Es gibt einen, der meint, sie sollten umkehren, aber der wird sofort getötet. Zwischendurch gibt es eine Hexenverbrennung - die Wut der Kolonialisten richtet sich gegen die Frauen und dann auch gegen sich selbst. Das alles wirkt völlig absurd, aber solche Dinge haben ja real stattgefunden. Letztlich waren die Konquistadoren nur auf das Gold aus und rechtfertigten ihre Verbrechen damit, dass sie die Ureinwohner missionieren wollten."
Einen der Anführer mit "irrem Blick, nennt Köck "Don Gairre" und bezieht sich dabei auf Werner Herzogs "Aguirre - der Zorn Gottes" mit Klaus Kinski als manisch getriebenem Konquistador. Zu den weiteren Inspirationsquellen gehört Dantes "Göttliche Komödie" mit Kapitelüberschriften vom "Inferno" über das "Purgatorio" bis ins "Paradiso".
Köcks Stück ist voller Metamorphosen, die Identitäten sind im Fluss
Zu Beginn denkt das "Ich" über die Liebe nach, wie sie auftaucht und wieder verschwindet, um einen dann wie ein Gespenst heimzusuchen. Dass Köck dabei an Beatrice denkt, die verstorbene Jugendliebe Dantes, ist anzunehmen, "aber diese Ebene ist bei uns nicht so präsent", sagt Porras: "Wir wollten nicht in irgendeinen Privatismus reingehen, das war uns zu klein."
Andere Phänomene der jüngeren Geschichte, durch die das Stück mitsamt Teiresias flaniert, werden breit ausgespielt, etwa die aktuelle, flächendeckende Opioidkrise in den USA. Bernardo Arias Porras spielt unter anderem einen Junkie, der in einem US-Vorort sich kinskihaft gegenüber einem Fernsehteam aufführt, das ihn filmen will. Aus dem Junkie wird ein Amokläufer, der in einer Kirche Geiseln nimmt und sie in einer Prozession wieder verlässt, um in einem langen Monolog Erlösung zu versprechen. "Das ist wie bei Monty Python: Die anderen machen dich zum Messias!"
Köcks Stück ist voller Metamorphosen, die Identitäten sind im Fluss. Porras ist mal Teiresias, mal der Junkie, mal ein Konquistador, wobei er den nicht selbst spielt, sondern im Hintergrund die Fäden zieht: Die spanischen Eroberer werden von Puppen verkörpert - der Einsatz von Marionetten, von Michael Pietsch, ist ein oft verwandtes Stilmittel in Inszenierungen von Jan-Christoph Gockel. Porras wird also aUCH zum Marionettenspieler. Was er angenehm findet, "weil es mich der Aufgabe enthebt, so zu tun, als wäre ich ein Konquistador."
Porras: "Ich hatte schon viel Glück"
In den Kammerspielen hat er sich bereits mehrfach verwandelt, ganz ohne Puppenhilfe. So wie in "Los Años". Im Projekt "Gespenster - Erika, Klaus und der Zauberer" des Kollektivs "Raum + Zeit" wechselt Porras ebenfalls zwischen Figuren, ist Klaus Mann, aber auch Tadzio, der Jüngling aus Thomas Manns "Tod in Venedig". Auch in "Heldenplatz" wirkt er mit: Falk Richters Inszenierung ist nach Verschiebungen nun endlich am 4. Dezember zu sehen.
Falk Richter, Hausregisseur an den Kammerspielen, war es auch, der Porras von Berlin nach München holte. "Eigentlich wollte ich Kindergärtner werden", erzählt Porras, "aber heute bin ich sehr dankbar, dass ich das nicht geworden bin. Die stehen, glaube ich, sehr früh auf." Während der Ausbildung wurde er von Intendant Thomas Ostermeier angefragt, ob er an die Schaubühne will. "Ich hab' immer nur 'Ja' gesagt. Und hatte schon viel Glück."
München ist nach Porras' Lebensära in Berlin ein Kulturschock
Etwas Pech hatten zuletzt die Kammerspiele. Die Pandemie hat den Beginn der Intendanz von Barbara Mundel böse zerfasert, finanziell sieht es auch nicht rosig aus. Dennoch komme er langsam im Ensemble an, sagt Porras. Und klar, München ist nach einer Lebensära in Berlin ein echter Kulturschock.
Zwar konnte er als Angestellter der Stadt eine bezahlbare Werksdienstwohnung in Giesing ergattern und fühlt sich an den Kammerspielen wohl ("ich habe das Gefühl, dass wir hier sehr viel ausprobieren dürfen"), vermisst aber doch weiterhin Spätkioske und das wahre Großstadtgefühl. "Ich dachte immer, alle Städte sind so wie Berlin. Ich dachte, so ist eine Stadt! Um zu verstehen, dass Berlin besonders ist, muss man erstmal weggehen. Und dann biste halt weg." Tja. Das hätte Teiresias eigentlich voraussehen können.
Premiere am heutigen Samstag, 19.30 Uhr. Wieder am Sonntag, 19 Uhr. Karten unter www.muenchner-kammerspiele.de und
Telefon 233 966 00