Kleists "Prinz von Homburg", inszeniert von David Bösch im Residenztheater

Das Residenztheater eröffnet seine Saison mit Kleists "Prinz Friedrich von Homburg" in der Regie von David Bösch
von  Michael Stadler

Das Residenztheater eröffnet seine Saison mit Kleists "Prinz Friedrich von Homburg" in der Regie von David Bösch

Schritt für Schritt, langsam, schweren Fußes bewegt sich Shenja Lacher die Treppenstufen hinab. Hinter ihm wabert Nebel im kalten Licht, das den Raum kaum erhellt. Dunkelheit, Atmosphäre, ein vom Krieg müder Prinz – so beginnt diese Inszenierung und damit die Spielzeit im Residenztheater.

Keine Hektik also, sondern eine ruhige Szene zum Hineinfinden in diesen Eröffnungsabend, der ohne große Modernisierungen – Schritt für Schritt – die Geschichte von „Prinz Friedrich von Homburg“ erzählt, so, wie sie Heinrich von Kleist aus historischen Quellen zu einem fiktiven Ganzen formte. Auch in diesem, seinem letzten, erst nach seinem Tod aufgeführten Stück leuchtet Kleist den Zwiespalt zwischen dem Gesetz und dem Recht, das der Mensch sich aus der Situation und dem eigenen Empfinden heraus nimmt, mit Brillanz aus.

Ungestüm im Kampf – und doch lieber ein Träumer sein wollen

Als einheitliche Figur erscheint sein Prinz Friedrich von Homburg indes nicht. So wechselt dieser, bei allen schicksalhaften Ereignissen sprunghaft vom Träumer zum ungeduldigen Heeresanführer, zum verängstigten, weil nach einer Subordination zum Tode verurteilten Feigling, um sich zuletzt seiner Strafe, vielleicht eins mit sich selbst, zu stellen.

Der großartige Shenja Lacher wirft sich in all diese Situationen mit Verve hinein, gibt dabei dem Prinzen eine Sanftmut, die sich dann bis zum Ende halten lässt. Vor dem Kurfürsten verhält sich der Prinz, am Anfang auf den Stufen geweckt, seltsam, weil schlafwandelnd, und gesteht der Nichte des Kurfürsten noch halb im Schlaf seine Liebe.

Homburgs Verwirrung wird später als möglicher Grund angeführt, dass er sich kurz darauf bei der Schlacht von Fehrbellin als Anführer der preußischen Truppen über die Anweisung des Kurfürsten hinwegsetzt und nicht auf den Angriffsbefehl von oben wartet. Stattdessen schickt Homburg seine Männer ungestüm in den Kampf gegen die Schweden. Bei Lacher hat dieser Moment etwas Infantiles, er stampft auf den Boden und reißt seine Männer gegen alle Widerreden und Zweifel mit.

Lust am Cinemascope-Format

Die Rückkehr aus der Schlacht inszeniert David Bösch mit gewohnter Lust am Cinemascope-Format: Am oberen Rand der Treppe tauchen die Krieger im Nebel auf, eine Truppe wie aus einem Zombiefilm, und erst im Licht sieht man den ganzen Horror, wie blutüberströmt sie sind. Insgesamt nimmt sich Bösch, was mögliche Übertragungen ins Jetzt oder poppige Anspielungen angeht, überraschend zurück: Der Kurfürst schiebt mal ein Pult mit Mikros herein, um sein Todesurteil über Homburg zu verkünden. Kurze Musikeinspielungen im dunklen Soundtrack-bis-Industrial-Sound überbrücken Spielpausen. Eine Matratze, über der eine einsame Glühbirne hängt, stellt den Kerker dar, in dem Homburg landet. Und das Gelb eines Tennisballs, den Shenja Lacher auf eine Stufe prellt, leuchtet aus dem Grau der Geschichte und des Bühnenbilds von Falko Herold in modernere Zeiten. Was aber nicht aufgesetzt wirkt, sondern effektiv von der Langeweile der Haft erzählt und die Szene zwischen Homburg und seinem Freund, dem Graf Hohenzollern (Johannes Zirner), zusätzlich taktet.

Dass Bösch mit seinen Darstellern stark an Sprache und Rhythmus gearbeitet hat, hört man jederzeit. Kleist ist ja nicht unbedingt leicht zu lesen – bei Bösch überträgt sich der Inhalt klar und deutlich. Zudem wurde das Stück klug entschlackt für eine kompakte Spieldauer von nicht mal zwei Stunden. So kann man den Argumenten gut folgen: hier der Kurfürst (der wunderbare Oliver Nägele), der keine Ausreißer von seinem Gesetz dulden will und doch mit seiner Härte hadert. Dort der Prinz, der mit Güte rechnet, sich verrechnet und Unterstützung von der geliebten Nichte (Friederike Ott) und dem Regiment des Obristen Kottwitz (Gerhard Peilstein) bekommt.

Eine Meuterei bahnt sich an, letztlich aber siegt die Solidarität: Obwohl Homburg schon Schlachten verloren hat, würden ihn doch alle als Anführer erneut gutheißen. Der Kurfürst staunt – und begnadigt.

Und während man noch darüber nachdenkt, dass jeder Chef solchen Teamgeist schätzen würde, beziehungsweise wie gut aufgestellt das Resi-Ensemble sich im fünften Jahr der Intendanz von Martin Kušej zeigt, wartet der Prinz auf den Todesschuss, weil er noch nichts von seinem Glück weiß.

Bösch spielt da mit der Möglichkeit eines alternativen Endes, wie man es vom Bonus-Material einer Film-DVD kennt. Und impft dem Kleistschen Happy-End Zweifel und Melancholie ein. Befreit fühlt sich der Prinz nicht. Er will lieber träumen.

Residenztheater, 9., 19. und 24. Oktober, 19 Uhr, % 21 85 19 40

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