Klaus Maria Brandauer im AZ-Interview: "Ich will bannen und überraschen!"

AZ-Interview mit Klaus Maria Brandauer: Geboren 1943 in Bad Aussee in der Steiermark. Brandaurer brach sein Schauspielstudium in Stuttgart ab und wurde dennoch zu einem der bekanntesten Theater-. und Filmschauspieler ("Mephisto", "Oberst Redl", "Hanussen") des deutschsprachigen Raums. Mittlerweile führt er auch Regie und lehrt als Professor am Max-Reinhardt-Seminar in Wien.
Dass er im kommenden Jahr 80 Jahre alt wird, leugnet er nicht. Aber er weist lieber auf sein 60-jähriges Bühnenjubiläum hin. Dabei stellt sich im Gespräch heraus, dass er schon mit sieben Jahren sein Schlüsselerlebnis als Struwwelpeter hatte. Nun geht Klaus Maria Brandauer auf eine große literarische Reise. In der Isarphilharmonie begegnen dem Zuschauer dabei im Januar Bühnenfiguren aus seiner langen Theaterkarriere – von Sophokles, Goethe, Ibsen, Shakespeare, Schiller, Hofmannsthal, Brecht und einigen anderen.
AZ: Herr Brandauer, Ihr Abend in München ist überschrieben mit einer Assoziationskette berühmter Rollen, die Sie gespielt haben: "Fast ein Hamlet mein Mephisto ein Ödipus für Jedermann". Das sind alles Klassiker. Im heutigen Theater sucht man zunehmend aber nach neuen, weiblicheren, diverseren Interpretationen als Sie das erlebt und gespielt haben. Bricht im Theater eine neue Zeit an?
KLAUS MARIA BRANDAUER: Ich denke, dass diese Invasion von Frauen im Theaterbetrieb eine gute Sache ist, weil sie ja bisher vor allem in zweiter oder dritter Position waren. Und jetzt haben sie sich zu Recht nach vorne gearbeitet und halten zusammen. Da wird eine neue Balance hergestellt. Aber davor fürchte ich mich nicht. Und einen Geschlechterkrieg braucht es auch dazu nicht mehr, das wäre lächerlich. Gutes Theater hat kein Geschlecht.
Und wenn man Sie jetzt als Lady Macbeth besetzten wollte?
Wenn's interessant ist, mache ich das natürlich, da bin ich auch neugierig, was ich da entdecke – in mir. Aber es muss mehr sein als eine Mode, es muss Leidenschaft sein. Aber Mann bleibt Mann und Frau bleibt Frau, daran lässt sich – bei allen Schattierungen – nichts ändern. Ich würde auch noch einmal den Romeo in München am Residenztheater spielen, wenn man sich klug ausdenkt, was das für die Julia bedeuten würde. Bei Shakespeare denke ich mir immer: Sakrament, der weiß so viel von mir! Es ist eine tiefe Menschenkenntnis, die eben zeitlos ist. Jede Generation versucht ja, der Wiederholung des Gestrigen – Krieg, Gewalt, Despotie – zu entkommen. Aber wir fallen immer in ähnliche Muster zurück. Auch im Privaten.
Was wäre das bei Ihnen?
Ich sehe, wie ich Züge meines eigenen liebenden Vaters, die ich bekämpft habe, selber entwickle oder habe. Er war nicht begeistert, dass ich nach der Schule zum Theater gegangen bin. Er hat gesagt: "Das kannst Du machen, aber bleibe in meiner Nähe, damit ich es Dir Samstag und Sonntag ausreden kann." Damit war klar, er würde sich nicht unbedingt dagegenstellen. So kann man aufeinander zugehen und bleibt liebend im Gespräch. Und es ist ja wirklich so, dass es auf einem Lebensweg als Schauspieler so viele Unwägbarkeiten und Zufälle gibt, dass den Eltern Jus, also Jura, solider vorkommt. Nach seinem Tod habe ich seine Sachen aufgeräumt und bin dann in seinem großen Schreibtisch auf unglaublich viele Zeitungsartikel, Videos von und über meine Auftritte gestoßen. Natürlich hat er mich oft im Theater gesehen.
Gab es einen Schlüsselmoment, durch den Ihnen klar wurde, dass Sie Schauspieler werden wollten?
Meine theaterbegeisterte Mutter hat das auf eine Aufführung in der zweiten Klasse zurückgeführt, als ich den Struwwelpeter spielen durfte: mit langen Fingernägeln und verstrubbelt. Die Leute haben zu meiner Mutter gesagt: "Mensch, der Klausi, alle Achtung!" Und ich war in der Schule nicht so gut, dass das der Grund hätte sein können. Plötzlich war man wer, hat gespürt, dass man Wirkung entfalten konnte.
Der Struwwelpeter ist ja eine Abschreckungsrolle…
...jedenfalls aber ein Rebell, und das gefällt mir. Und heute kann man ihn ja auch als Auflehnung gegen das grausame Erziehungsideal von damals lesen, auch wenn er als Abschreckung gemeint war.
Viele Klassiker werden jetzt als aus der Zeit gefallen ausgemustert.
Wenn jemand meint, dass das für seine Arbeit am Theater notwendig ist, sollen er oder sie das tun, aber das Publikum muss halt mitmachen. Da lässt sich nicht einfach was überstülpen. Und im 500 Jahre alten Shakespeare oder in 2.500 Jahre alten, antiken Stücken suche ich immer, was ich für Heute erzählen kann.
Sie selbst haben mit großen, mächtigen Theaterpersönlichkeiten zusammengearbeitet: zum Beispiel mit Peter Stein, Otto Schenk oder Fritz Kortner, den Sie auch noch erlebt haben. Sind heute solche Monumente noch möglich?
Nicht zu vergessen Karl Paryla und Rudolf Noelte. Jede Zeit hat andere Charaktere. Heute wird stärker das Team in den Vordergrund gestellt, so dass es schwieriger ist für einen einzelnen, einen Stil zu prägen und so für sich und die eigene Art, Theater zu denken, zu stehen. Aber etwas eint sie: Sie haben die zugrundeliegende Geschichte erzählt und nicht zerlegt, sondern intellektuell durchdrungen. Und wenn dann noch der Zuschauer gebannt und überrascht wurde, war es großes Theater. Aber jede Zeit bringt große Leute hervor.
Was braucht man vor allem?
Natürlich Begabung, aber vor allem auch Selbstbewusstsein. Manche Schauspieler sitzen einfach da und der Zuschauer ist bereits fixiert. Aber man darf keinem Schauspieler zu früh sagen, dass er eine große Wirkung hat, weil das befangen macht.
Wie gestalten Sie Ihren Abend in der Isarphilharmonie?
Ich mache mir natürlich Gedanken und ich gehe auf die Stimmung im Publikum ein. Die kommen aus der Weihnachtszeit, aber was wird sein: Was ist mit dem Krieg, haben die Leute noch Geld, frieren manche? Aber es wird auch viel zu lachen geben. Was? Das wird sich rausstellen….
Und was treibt Sie gerade um?
Hoffentlich ist dieser Krieg bald zu Ende. Wir dürfen da nicht abstumpfen und gleichgültig werden, nur weil es sich in die Länge zieht. Aber die großen Menschheitsfragen kann ich nicht lösen. Auf meinem Nachttisch lag vor kurzem ein Buch von Luis Buñuel, ein Kapitel trug den Titel: "Ein Atheist von Gottes Gnaden". Vielleicht kann ich mit dieser weisen Paradoxie versuchen, die Welt zu begreifen.
Isarphilharmonie, Freitag, 13. Januar, 20 Uhr: "Fast ein Hamlet mein Mephisto ein Ödipus für Jedermann: Ein Abend mit Klaus Maria Brandauer", Karten von 52 bis 66 Euro bei muenchenticket.de, 089/54818181