Kirill Petrenko debütiert in Tokyo
Kirill Petrenko und das Bayerische Staatsorchester auf Tournee in Japan
Sie mussten lange auf ihn warten. Jetzt endlich ist er gekommen. Umso größer ist in Japan derzeit der Wirbel um seine Person. Kirill Petrenko steht ganz klar im Zentrum der Aufmerksamkeit. Immerhin ist das gegenwärtige Gastspiel der Bayerischen Staatsoper und des Bayerischen Staatsorchesters in Tokio zugleich sein Japan-Debüt. Dementsprechend gebannt lauschte das Publikum. Im Konzertsaal Bunka Kaikan changierte die Stimmung zwischen Erwartung und Anspannung. Hier bewies Petrenko gleich zu Beginn des ersten, rein sinfonischen Konzerts mit dem Staatsorchester und dem Solisten Igor Levit, dass auch ein eher dürftiges Werk gerettet werden kann.
Die „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ op. 43 für Klavier und Orchester von Sergei Rachmaninow ist nicht gerade ein Meisterwerk. 1934 komponiert, entwirft Rachmaninow eine Art Künstlerschicksal, die arg an die „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz erinnert. Dazu würfelt Rachmaninow das Thema aus dem letzten Capriccio für Solo-Violine von Paganini mit dem Dies-Irae-Motiv zusammen.
Das große Miteinander
Das alles kann eine plakative Virtuosität entwickeln. In Tokio haben Levit und Petrenko ein vielschichtiges Porträt des „Teufelsgeigers“ Paganini entworfen: ganz ohne virtuosen Überdruck, unerhört klangsinnlich. Levit ist ein Farbenmagier, und mit Petrenko und den Musikern des Staatsorchesters fühlt er sich besonders wohl.
„Ich vertraue ihm, und ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit“, so Levit auf Nachfrage. Schon vor zwei Jahren hatte Levit unter Petrenko musiziert, in Israel. Auch zu anderen Dirigenten und Orchestern habe er ein besonderes Verhältnis, aber: „Die Partnerschaft mit dieser Gruppe von Musikern und mit ihm, das ist schon sehr singulär für mich.“
Levit spricht von einem „ganz großen Miteinander“, und genau dies markiert die grundsätzliche Haltung von Kirill Petrenko als Dirigent. „Am besten erzielt man in den Proben mit dem Orchester so viel Einigkeit, dass im Konzert der Dirigent nur noch der Vermittler ist: zwischen Musik, den Ausführenden und dem Publikum.“ Das bekannte Petrenko auf einer Pressekonferenz in Tokio.
Im Vorfeld mussten auch die Japaner feststellen, dass Petrenko keine Interviews gibt. Auf der Pressekonferenz musste sich Petrenko deswegen prompt erklären. „Diese Entscheidung ist schon sehr lange gefallen“, erwiderte er. „Es gibt viele Gründe. Für mich ist das Wichtigste, dass ich so wenig wie möglich über meine Arbeit sprechen möchte. Es sollte noch etwas von einem Geheimnis vorhanden sein. Man sollte als Dirigent auf dem Podium umso mehr sagen können und müssen.“
Inneres Beben
Dass Petrenko auf dem Podium ziemlich viel zu sagen hat, offenbarte sich nicht zuletzt in der Symphonie Nr. 5 von Gustav Mahler. Dieser Komponist zählt zu seinen Spezialitäten. In Tokio hat Petrenko erneut bewiesen, dass er ein stupendes Gespür für die richtigen Tempi hat. Noch dazu räumte er mit dem weitverbreiteten Klischee auf, dass Mahlers Musik freie Veränderungen des Tempos, also Rubati, benötige. Tatsächlich konterkarieren jedoch Rubati die Idee einer Collage mit abrupten Wechseln von Ausdrücken und Bedeutungsebenen. Gleichzeitig zeigte Petrenko im zweiten Satz, dass das „Stürmisch bewegt“ keineswegs ein hysterisches Rasen meint.
Ein klar strukturiertes, inneres Beben wurde hörbar, das Form und Gehalt hellhörig durchleuchtete. Das Adagietto wurde hingegen nicht larmoyant zerdehnt, sondern wohltuend fließend genommen. Ob die Trompetensoli von Andreas Öttl im ersten oder die Hornsoli von Johannes Dengler im dritten Satz: Bis ins letzte Detail schenkte diese Fünfte bleibende Hörerlebnisse.
Dieser starke Japan-Auftakt hat einmal mehr gezeigt, dass das Bayerische Staatsorchester keineswegs nur ein Opernorchester der Weltklasse ist: reich beschenkt, wer das erlebt hat. Marco Frei